"Leinen los"
Für Domkapitular Dr. Klaus Winterkamp, Vorsitzender des Diözesancaritasverbandes, ist das Recht auf Selbstbestimmung im Zweifel höher zu bewerten als das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Aber können Pflege und Betreuung ohne freiheitsentziehende Maßnahmen auskommen? Diese Frage versuchten Experten und Praktiker bei der Tagung "Leinen los" des Caritasverbandes in Münster aus ethischer und fachlicher Sicht zu beantworten.
Fixierung kommt für Winterkamp nur in Grenzfällen und immer nur als letztmögliche Lösung in Betracht.
Eine auf der Tagung von den Richterinnen Dr. Anne Russow und Edith Michels-Ringkamp vom Amtsgericht Münster vorgestellte Möglichkeit, Fixierungen zu vermeiden, ist der "Werdenfelser
Weg". Ein vom Gericht bestellter Verfahrenspfleger, der selbst Fachkraft in der Pflege ist, leitet darin eine "multiprofessionelle Zusammenarbeit auf Augenhöhe".
Gemeinsam wird das Recht auf Selbstbestimmung des Pflegebedürftigen in einer Einrichtung,
seine körperliche Unversehrtheit und die Haftungsrisiken gegeneinander abgewogen. Dieses Verfahren sei "ein Gewinn für alle", wie Studien zeigten. Auch seien in der Folge die Anträge auf Fixierung beim Amtsgericht stark gesunken, so die Richterinnen.
Thomas Westendorf, Leiter einer Altenhilfeeinrichtung im niedersächsischen Lastrup, unterstrich den Erfolg des Werdenfelser Weges. Allerdings müsse er von veränderten Rahmenbedingungen in der Einrichtung flankiert werden. "Freiheitseinschränkende Maßnahmen können nur vermieden werden, wenn die Einstellung und das Wissen dazu beim Pflegepersonal vorhanden ist", so seine Erkenntnis. Zudem brauche es pflegerische und bauliche Voraussetzungen wie etwa Förderung der Mobilität der Bewohner, Niedrigbetten, Fallschutzmatten oder ein angepasstes Beleuchtungskonzept, um Stürze zu vermeiden.
Für den Bereich der Behindertenhilfe schränkte Hermann-Josef Sönnekes, Heimleiter im Haus Früchting in Vreden, ein, dass zeitweise freiheitsentziehende Maßnahmen bei Menschen mit einem hohen sozialen Integrationsbedarf und aggressiven Verhalten nicht zu vermeiden seien, um einer massiven Selbstverletzung zuvor zu kommen. Die Fixierung müsse aber immer in ein heilpädagogisches Konzept eingebunden sein und auf einer "Haltung des Annehmens" des herausfordernden Bewohners beruhen. Wichtig seien individuelle Lösungen für den Bewohner mit seiner spezifischen Einschränkung, so Sönnekes.
Für Dr. Boris Krause, theologischer Referent der Caritas, befinden sich "Fixierende" immer in einem moralischen Dilemma. Die "perfekte Entscheidung" gebe es nicht.