Mit Schalk in den Augen verkündet Hedwig* in der fröhlichen Kaffeerunde: "Wir sind doch noch nicht verschlissen." Sichtlich genießt die 90-Jährige die Gemeinschaft in der Senioren-Tagespflege (SenTa) der Caritas Steinfurt in Borghorst. Dabei erfährt sie rund um den Tisch Zustimmung. "Dem Herrgott können wir nicht genug danken", sagt Anna.
Die 89-Jährige wohnt gleich nebenan und ist fast jeden Tag zu Gast in der Tagespflege: "Hier sind die Leute nett, und ich habe Unterhaltung." Was aus Sicht von Christiane Nitz, die die ambulanten und teilstationären Dienste der Caritas Steinfurt leitet, neben der Entlastung der Angehörigen ein wesentlicher Beweggrund für den Besuch ist.
"Tagespflege ist neben dem Altenheim und zusätzlich zur ambulanten Pflege zu Hause eine ganz wichtige Säule", erklärt Nitz. Nachfrage und Angebot seien in den vergangenen Jahren stark gewachsen: Allein die Caritas Steinfurt biete Tagesstätten in Horstmar, Altenberge, Laer und Borghorst an, im gesamten Bistum Münster gebe es mittlerweile 115 Tagespflegen.
Marlies gehört zu denen, die erst skeptisch waren. "Ich wollte gar nicht hierhin", bekennt sie. Aber dann hat sie das "Schnupperangebot" genutzt, ist einen Tag zur Probe gekommen - und hat sich überzeugen lassen. Montags und mittwochs verbringt sie seitdem den Tag von 9 bis 16 Uhr in der SenTa, "dienstags kommt meine Putzfrau", sagt die 83-Jährige. Sie ist stark sehbehindert und schätzt deshalb das morgendliche Vorlesen der Zeitung besonders.
Das Klönen bei Frühstück, Mittagessen und Nachmittagskaffee nimmt breiten Raum ein. Hinzu kommen geistige Anregungen und Bewegungsübungen. Zur Krönung des britischen Königs Charles habe man einen gebürtigen Engländer eingeladen und eine Teezeremonie zelebriert, nennt Marion Dennemann, Leiterin der SenTa Steinfurt, ein Beispiel: "Das ist hier nicht einfach nur Bingo." Osterbräuche oder "Frühlingszeit ist Bärlauchzeit" waren Themen, bei denen die Gäste eigene Erfahrungen einbringen und Neues lernen konnten.
Die Altersspanne reicht zwar von 66 bis 100 Jahren, aber das sei kein Problem beim Austausch über Jugenderinnerungen. Fast alle Gäste kommen aus großen Familien, wie Hedwig und Anna, die beide je acht Geschwister hatten. Zeitlich passend zu ihren Erfahrungen hat Marius, FSJler der Stadtbücherei, Literatur zur verstorbenen Queen auf dem Tisch im Wohnzimmer drapiert. Regelmäßig versorgt er mit dem Lastenrad die SenTa-Standorte mit neuen Büchern und Spielen.
Fast alle der Gäste leben zu Hause mit Angehörigen zusammen. Anna zum Beispiel wohnt mit ihrem 60-jährigen Sohn, der für sie sorgt, aber natürlich auch eigenen Interessen nachgeht. Waltraud (78) hat sich von einer schweren Erkrankung erholt. Sie besucht die Tagespflege an einem Tag in der Woche, um ihrem Mann, der sie lange intensiv gepflegt hat, etwas Freiraum zu ermöglichen.
Wie viele Tage sie in der SenTa sein möchten, entscheiden die Gäste selbst. 13 Plätze bietet die SenTa Steinfurt, bis zu 16 sind notfalls möglich, erklärt Christiane Nitz. Vor Corona habe es Wartelisten gegeben, jetzt habe man aber noch Kapazitäten, da nicht alle Senioren zurückgekehrt seien und man zwei weitere Tagespflegen eröffnet habe.
In der Coronazeit haben die Gäste die Tagespflege auch als "Kirchort" geschätzt, weiß Burkhard Baumann. Er ist Geschäftsführer des in der "Domus" zusammengefassten Altenhilfe-Bereichs der Caritas Steinfurt. Die Kirchen waren geschlossen, aber Seelsorger kamen in die Tagespflege. Wobei das schon vorher so war und weiterhin gilt. "Regelmäßig bieten wir Wortgottesdienste an und pflegen eine intensive Zusammenarbeit mit der Pfarrei", sagt Nitz.
Wie solche Angebote noch bekannter gemacht und zugleich weiterentwickelt werden können, das überlegt derzeit Natalie Albert vom Diözesancaritasverband Münster. Im Projekt "Profil" mit der Hochschule Bielefeld geht sie mit Christiane Nitz und Marion Dennemann diesen Fragen nach. So wüssten viele Menschen nicht, dass die Pflegekasse neben dem Entlastungsbetrag für zu Hause zusätzlich für die Tagespflege zahle, erklärt Nitz. Der Betrag hänge vom Pflegegrad ab. Der Kontakt komme häufig über die ambulante Pflege zustande. Deren Mitarbeitende könnten gut einschätzen, wann eine Betreuung tagsüber außer Haus sinnvoll ist.
Tagespflege bereichert das Leben der Gäste. "Ganz ohne könnte ich mir nicht mehr vorstellen", bekennt Anna. Das gehe vielen so, beobachtet Marion Dennemann. Neue Freundschaften würden geschlossen, alte Bekannte treffen sich nach vielen Jahren in der SenTa wieder.
(*Aus Datenschutzgründen können die vollständigen Namen der Tagesgäste nicht genannt werden.)
Von Recke bis Recklinghausen, von Emmerich bis Lengerich - die Caritas im Bistum Münster ist für Menschen in Notsituationen da. Ob Jung oder Alt, Alleinstehend oder Großfamilie, mit Behinderung oder Migrationshintergrund, körperlicher oder psychischer Erkrankung. Unter dem Motto "Not sehen und handeln" sind 80.000 hauptamtliche Mitarbeitende und 30.000 Ehrenamtliche rund um die Uhr im Einsatz. Für die Hilfe vor Ort sorgen 25 örtliche Caritasverbände, 18 Fachverbände des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) und 3 des SKM - Katholischer Verein für Soziale Dienste. Hinzu kommen unter anderem 57 Kliniken, rund 150 Einrichtungen der Behindertenhilfe, 205 Altenheime, 105 ambulante Dienste, 115 Tagespflegen und 22 stationäre Einrichtungen der Erziehungshilfe.
031-2023 (hgw) 30. Juni 2023
Pressemitteilung
Sich tageweise zu Hause fühlen
Erschienen am:
30.06.2023
Herausgeber:
Caritasverband für die Diözese Münster e.V.
Kardinal-von-Galen-Ring 45
48149 Münster
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