Ihr Paradies entspricht nicht den landläufigen Vorstellungen, vielleicht auch nicht unseren und schon gar nicht denen der Politik. St. Bernardin ist ein wuchtiges altes Backsteingebäude, ursprünglich ein Kloster, neben dem kleinen Sonsbecker Ortsteil Hamb am Niederrhein. Eine große "Komplex-Einrichtung" in der Fachsprache und damit aus den Zeiten der Inklusion gefallen.
Aber für Renate Fink und 149 ihrer Mitbewohner ist es das Zuhause, der sichere Rahmen für ihr Leben. Mit sieben Jahren ist sie hier eingezogen, hat Jahrzehnte in der Wäscherei auf dem Gelände gearbeitet und genießt jetzt den Ruhestand mit ihrem Hund und all den anderen Tieren, die zu versorgen sind.
Inklusion, so wie wir sie heute verstehen, scheint das noch nicht zu sein. Faktisch aber schon, denn sie ist zufrieden in dieser Gemeinschaft, spielt mit Hamber Bürgern, die sie in der Schwimmgruppe kennengelernt hat, regelmäßig Mau-Mau, schaut schon mal in Schule und Kita vorbei, fährt in den Urlaub… "Es ist ein Lernprozess zu akzeptieren, dass der Wille eines Menschen mit Behinderung möglicherweise nicht den eigenen Vorstellungen entspricht", sagt Hans-Dieter Kitzerow, der die Einrichtung leitet und mit dem Renate Fink mittags gemeinsam isst.
Das neue Bundesteilhabegesetz, dass im Wesentlichen ab 2020 umgesetzt wird, will mehr Selbständigkeit. Ein eigener Mietvertrag für das bewohnte Zimmer, selbständige Entscheidungen über Pflegedienst und Arbeitsplatz. Das ist für Kitzerow sicherlich ein guter Ansatz für viele Menschen mit Einschränkungen, nicht aber unbedingt für die in Behinderteneinrichtungen lebenden mit schweren körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen. Ihre Zahl ist vergleichsweise gering, wenige hunderttausend von insgesamt sieben Millionen bundesweit.
Für sie können die Bemühungen um Inklusion anstrengend werden. Da müsste es aus Sicht von Thomas Wilmsen, der den Sozialdienst in St. Bernardin leitet, vor allem darum gehen, Wahlmöglichkeiten zu schaffen. Also nicht aus ideologischen Überlegungen alle großen Einrichtungen abschaffen zu wollen, sondern die behinderten Menschen tatsächlich selbst entscheiden zu lassen, wie sie leben möchten. "Es wird viel zu wenig darauf geschaut, ob sie zufrieden sind", sagt Wilmsen.
Sie können, wie Renate Fink, ihren eigenen Weg finden, wenn die Behindertenhilfe sich weiter entwickelt und neue Möglichkeiten bietet. Fink erinnert sich gut, wie sie zum ersten Mal fünf Mark selbst in der Hand hielt. In den Ort zu gehen, selbst einzukaufen, ist heute selbstverständlich. "Nach und nach habe ich mehr Mut bekommen", erklärt sie. Aber das gehe nur in kleinen Schritten.
Wie sich die Caritas in der Diözese Münster auch im Feld der Behindertenhilfe künftig ausrichten will, wird im Strategieprozess Caritas2025 diskutiert. Dazu ist eine breit angelegte Befragung gestartet worden. Bis zum 7. September ist die Teilnahme noch unter www.caritas2025.de möglich.
058-2017 (hgw) 27. Juli 2017