Da stellt sich für Matthias Löb, seit wenigen Monaten Direktor des Verbandes, die Frage: "Wieviel Inklusion können wir uns noch leisten?". Eine breite gesellschaftliche Debatte darüber hält auch Diözesancaritasdirektor Heinz-Josef Kessmann für notwendig. Auf der Mitgliederversammlung der Diözesanen Arbeitsgemeinschaft Behindertenhilfe der Caritas in der Diözese Münster (DiAG) in Haus Hall in Gescher sagte er dem LWL zu, weiterhin gemeinsam nach fachlich verantwortbaren Sparmöglichkeiten zu suchen. Allerdings mit einer Einschränkung: Gesetzliche Ansprüche der Menschen mit Behinderungen werde die Caritas "sehr hartnäckig" einfordern. Die Einrichtungen der DiAG bieten rund 5.000 Werkstatt- und 4.000 Wohnheimplätze an.
Jahr für Jahr werden in Westfalen-Lippe 700 Werkstatt- und 300 Wohnheimplätze zusätzlich benötigt. Die Hoffnung, dass das Ambulant Betreute Wohnen (ABW) den Aufwärtstrend in den Wohnheimen brechen könnte, ist zerstoben: 2006 wurden im ABW knapp 10.000 Betreute gezählt, für 2018 werden 32.000 erwartet. "Wir erreichen hier keine Sättigung wie erwartet," stellte Löb fest. Neben dem Alter nannte er zunehmend fehlende "familiäre Unterstützungssysteme" und Einschränkungen anderer Kostenträger als Gründe. Vor allem aber ist es der demographische Wandel. Zum einen würden die Eltern behinderter Kinder älter und könnten sie nicht mehr zuhause betreuen. Zudem werden eine Steigerung von 2.652 behinderten Menschen über 60 Jahre in 2010 um 350 Prozent auf knapp 12.000 in 2030 erwartet, so Löb.
Wenig Hoffnung setzen Kessmann und Löb inzwischen in die Bundesregierung, die mit Bildung der neuen Regierung Hilfe zugesagt hatte. Fünf Milliarden Euro will sie an die Kommunen fließen lassen. Doch es bestünden Zweifel, dass dieses Geld auch beim Kostenträger LWL ankomme. Kessmann forderte die Caritas-Einrichtungen auf, vor Ort dafür zu werben, dass die Kommunen ihrer Verantwortung zur auskömmlichen Finanzierung des LWL nachkommen.
Viele weitere Ideen, die auf Bundesebene derzeit kursieren, stoßen bei LWL und Caritas auf Skepsis. Die schlechten Erfahrungen beim Persönlichen Budget deuteten nicht daraufhin, dass ein diskutiertes Budget für Arbeit erfolgreicher sein könnte. Ebenso nebulös bleibe derzeit die angedachte Trennung der Finanzierung von Unterbringung und Betreuung, die derzeit noch in der Eingliederungshilfe zusammen gefasst sei, so Kessmann.
Eine Einsparung von 20 bis 30 Millionen Euro erhofft sich der LWL vor allem durch eine verbesserte Steuerung des Bedarfs. Löb hält "mehr Inklusion mit weniger Geld für möglich". Dabei hoffe er, dass es gelingen könne, Bürokratie abzubauen.
Da zeigte sich der Vorsitzende der DiAG Behindertenhilfe und Direktor des Haus Hall, Dr. Thomas Bröcheler, skeptisch. Eine Trennung der Leistungen Wohnen und Betreuung werfe nicht nur viele Fragen auf, sondern werde auf jeden Fall "deutlich mehr Bürokratie" erfordern. Seine Sorge sei, dass es letztlich darum gehe, "Leistungsansprüche behinderter Menschen zu beschränken", da es hier mehr Steuerungsmöglichkeiten für die Kostenträger gebe.
Bröcheler konnte wie auch Matthias Löb feststellen, dass die Betreuung behinderter Menschen in NRW im Vergleich gut ausgebaut ist. Aber es mache sich schon "in fast allen Regionen" ein Mangel an Plätzen bemerkbar, der sich in langen Wartelisten niederschlage. Menschen würden quer durchs Land geschickt: "Wir haben wieder eine Situation wie in den 80er Jahren", warnte Bröcheler.
068-2015 hgw 17. Juni 2015