Davon ist Helmut Flötotto überzeugt: "Zuviele Menschen auf zu engem Raum". Immer noch müssen sich teilweise bis zu fünf Flüchtlinge ein Zimmer mit Doppelstockbetten teilen, kritisiert der Flüchtlingsbeauftragte des Bistums Münster und Referatsleiter im Diözesancaritasverband. Und die stammen nicht aus einer Familie oder einer Nation. Die Caritas in NRW hat einen Appell des Flüchtlingsrates unterschrieben, der die Landesregierung auffordert, die Unterbringung in Massenunterkünften zu beenden.
In Rheine bescheinigt Caritas-Fachdienstleiterin Elke Zeitner dem Betreiber Deutsches Rotes Kreuz, das Mögliche zu tun und gute Arbeit zu leisten. Aber die von Land und Bezirksregierung vorgegebenen Bedingungen stimmten nicht. 400 Plätze hat die ZUE, 280 Bewohner leben dort zur Zeit. Da müssen sich mehrere Flüchtlinge ein Zimmer teilen, Um zumindest tagsüber Abstand halten zu können, wird gruppenweise gegessen und Besucher von außen dürfen nicht mehr rein. Aber solange es keinen Infektionsfall gibt, dürfen die Flüchtlinge sich frei außerhalb bewegen - Bedingungen, die auch anderen Orten gelten.
Flötotto wundert sich da, "dass bis jetzt so wenig passiert ist". Notwendig wäre es aus seiner Sicht, die Belegung zu entzerren. Genügend andere Unterkünfte ständen leer oder hätten ausreichend freie Kapazitäten. Genutzt werden könnten dafür auch in größerem Umfang als bisher Jugendherbergen sowie beispielsweise Bildungsstätten oder Inklusionshotels. Aber dafür würde natürlich mehr Personal in der Betreuung benötigt.
Nicht ins Stocken geraten sind dagegen die Verwaltungsvorgänge, so Flötotto. Urteile würden wieder zugestellt und Ablehnungsbescheide gingen ein. Derzeit werde zwar nicht abgeschoben, aber damit gebe es noch viele Fragen, die in Rheine zum Beispiel zwei Mitarbeitende der Caritas vor Ort zu beantworten suchen.
Allerdings sieht Flötotto nicht nur die gesundheitlichen Risiken. Insgesamt bedeute die Corona-Pandemie einen herben Rückschlag für die Integration. Das bestätigt Marijan Renić für den Fachdienst für Integration und Migration der Caritas Borken. Seit Wochen gebe es keine offenen Sprechstunden mehr, gleichzeitig löse die Krise in Verbindung mit Isolation und Verunsicherung Ängste bei den Menschen aus. Die Anfragen steigen derzeit, berichten Alicja Szkrabinski und Patrick Walfort aus den Beratungsstellen der Caritas. Persönliche Beratung bleibe derzeit aber die Ausnahme, in der Regel laufe sie über E-Mail, Chats und Videotelefonie. Der Deutsche Caritasverband hat dafür die Migrationsberatung aktuell als 17. Fachbereich in seine Onlineberatung aufgenommen.
Für Renić, verantwortlich für die Integrationsagentur der Caritas Borken, geht es darum, wie die Integrationsarbeit wieder Fahrt aufnehmen kann. Die Wege dahin unter den neuen Hygiene- und Abstandsvorschriften werden gerade im Interkulturellen Netzwerk Westmünsterland Netzwerk entwickelt, dessen Sprecher er ist. Problem sei, dass viele Vorgaben der Politik in der Praxis nicht umsetzbar seien. Das BAMF empfehle beispielsweise, Sprach- und Integrationskurse zu teilen, sei aber nicht bereit, dafür mehr als einen Dozenten zu bezahlen. Renić wünscht sich da eine "stärkere Orientierung an der Realität".
Wie es wieder weitergehen kann, überlegt auch Elke Zeitner mit ihren Mitarbeitenden in Rheine. Im Centro San Antonio soll der große Hof für Angebote verstärkt genutzt werden, um die Abstandsregeln einhalten zu können. Es sei wichtig, dass sich die Menschen wieder begegneten, denn erst einmal bedeute die Pandemie "einen Riesenschritt zurück". Weil das Begegnungscafé ausfalle, sprächen viele Migranten seit Wochen kein Deutsch mehr, sie könnten sich nicht bewerben und auch keine Wohnungen suchen, um aus beengten Gemeinschaftsunterkünften auszuziehen.
047-2020 (hgw) 25. Mai 2020