Das Rezept ist ebenso einfach wie schwer in Detail und Alltag umzusetzen: „Miteinander reden“ ist die Grundlage, sagt die Qualitätsbeauftragte und Leiterin des Projekts „Verbesserung der Versorgung von Menschen mit Behinderung im Krankenhaus“. Während Reckendrees noch westfälisch zurückhaltend formuliert, „wir bekommen bereits Rückmeldungen, dass es schon besser geworden ist“, gibt es durchaus Anerkennung auf höherer Ebene und großes Interesse bei anderen Trägern. Das Projekt wurde mit dem zweiten Platz beim NRW-Gesundheitspreis ausgezeichnet, die Mathias-Hochschule in Rheine für ein Konzept der Studierenden zum gleichen Thema mit dem dritten.
Ein Krankenhausaufenthalt ist das Gegenteil von dem, was Menschen mit Behinderungen eigentlich benötigen: Stabilität im Alltag mit gewohnten Strukturen und bekannte Betreuer sind für sie besonders wichtig. „Die Prozesse in der Klinik sind dagegen so gestaltet, dass man schon ohne Behinderung kaum hinterher kommt,“ sagt Reckendrees. Der Kostendruck durch die Fallpauschalen hat es nicht einfacher gemacht, die Abläufe sind normiert und der Aufenthalt auf das Minimum verkürzt: „Da muss auch der Patient funktionieren“.
Tut er aber in der Praxis eben nicht immer und gerade bei Patienten mit individuell ausgeprägten Behinderungen „stoßen Welten aufeinander“, sagt Reckendrees, die auch Qualitätsbeauftragte der zur Franziskus-Stiftung gehörenden St. Vincenz-Gesellschaft ist. Unter ihrem Dach vereint sie in Ahlen und Beckum Krankenhäuser und Behindertenwohnheime unter einem Dach. Eine gute Voraussetzung, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Die Verantwortlichen kennen sich und für die Mitarbeitenden in Kliniken und Wohnheimen werden unter gegenseitige Begegnungstage angeboten.
Dann wundern sie sich nicht mehr wie eine Krankenschwester in der Krankenhaus-Kantine, dass „der Betreuer den Bewohner einfach so geduzt hat“, wie Reckendrees mal mithörte. Auch von "distanzlosem Verhalten" seien manche Pflegemitarbeitende irritiert. Diese Unsicherheiten im Umgang mit Menschen mit geistigen oder chronisch psychischen Behinderungen sollen ebenfalls durch Besuchstage und Hospitationen abgebaut werden.
In der Pflegeausbildung sind dafür Anteile vorgesehen. Die besondere Nähe der Wohnheime in Ahlen, Neubeckum und Enniger erleichtern Einblicke in die Praxis der Behindertenhilfe. Die werden von den Schülern gerne angenommen, sagt Reckendrees. Andernorts würden angehende Pflegemitarbeitenden eher in die Akutpsychiatrie gehen.
An vielen Stellschrauben haben Arbeitsgruppen mittlerweile gedreht, um das St.-Franziskus-Hospital in Ahlen und Elisabeth-Hospital in Beckum barrierefreier zu gestalten. Ein Qualitätszirkel bespricht, was im Einzelfall gut oder weniger gut gelaufen ist und leitet daraus weitere Verbesserungsmöglichkeiten ab. Immerhin gut 100 Patienten mit Behinderungen werden pro Jahr in den beiden Kliniken eingewiesen, so dass die Theorie beständig an die Alltagspraxis angeglichen werden kann. Parallel erarbeitet eine einrichtungsübergreifende Projektgruppe Strukturen und Prozesse rund um Aufnahme, Behandlung und Entlassung von behinderten Patienten.
Die behinderten Patienten werden jetzt zum Beispiel bei geplanten Therapien vorher angemeldet und können in der Regel die bürokratische und für sie unverständliche und deshalb verunsichernde Aufnahmeprozedur abkürzen. Sie werden direkt auf die Station begleitet und dort aufgenommen, erklärt Reckendrees. Umgekehrt ist es noch wichtiger, dass ihre Entlassung im Wohnheim angekündigt wird. In der Vergangenheit sei es passiert, dass ein Bewohner überraschend am Freitagnachmittag wieder vor der Tür gestanden habe, die Dienste aber nicht dafür geplant waren und "nachsorgende Maßnahmen wie die Medikamentenversorgung nur schwer sichergestellt werden konnten," erklärt Reckendrees.
Gerade bei Medikamenten sind bei behinderten Menschen Besonderheiten zu beachten, zumal wenn psychische Erkrankungen mit im Spiel sind, weiß Stefanie Reckendrees: "Manche müssen für die Diagnostik abgesetzt werden". Aber das müsse genau abgestimmt werden. Dafür hat die Projektgruppe einige Hilfen entwickelt wie Checklisten und Überleitungsbögen, um die Informationsweitergabe an den Schnittstellen zu erleichtern.
Die Erfahrungen, die im Südkreis Warendorf gesammelt worden sind, sollen weitere Verbreitung in der Franziskus-Stiftung finden. Gemeinsame Schulungen sind zum Beispiel mit dem St. Rochus-Hospital in Telgte geplant. Es gehe darum, "Inseln zu schaffen", von denen aus sich Wissen und Methoden verbreiten, so Reckendrees.
Seit der Vergabe des Gesundheitspreises wird die Qualitätsbeauftragte von vielen Trägern angefragt und um Informationen gebeten. In der Fachwelt werde die Behandlung behinderter Menschen im Krankenhaus zwar schon in den letzten Jahren diskutiert, "aber in der Praxis ist das noch nicht angekommen," sagt Reckendrees.
Die Voraussetzungen für eine besser angepasste Behandlung behinderter Menschen werden sich zudem künftig verbessern, weil eine weitere Einrichtung der Caritas in der Diözese Münster den dritten Preis bekam. Studierende der Mathias-Hochschule in Rheine haben ein Konzept für eine entsprechende Aus- und Fortbildung von Pflegemitarbeitenden erarbeitet.
011/2015 (hgw) 24. Februar 2