Nicht nur das Hören endete damit für die Teilnehmer der Caritas-Jubiläumstour, auch die Gespräche verstummten. Die Caritas Emsdetten-Greven hat sich auf die Arbeit mit gehörlosen Menschen spezialisiert. Inga Stecknitz steht dafür, wie weit sie in den vergangenen 30 Jahren auf diesem Weg voran gekommen ist. Die junge gehörlose Frau wollte im sozialen Bereich arbeiten und hat sich durchgebissen. Sie ist heute als Erzieherin im Ambulant Betreuten Wohnen des Verbandes beschäftigt und hat am Montag mit einem Studium begonnen.
An sieben Tagen besuchten der Vorsitzende des Diözesancaritasverbandes, Domkapitular Josef Leenders, und Diözesancaritasdirektor Heinz-Josef Kessmann mit den Abteilungsleitern aus Anlass des 100jährigen Bestehens des Diözesancaritasverbandes Münster Verbände und Einrichtungen im Bistum. Auch am letzten Ziel wurde offensichtlich, dass in der sozialen Arbeit nur der Wandel beständig ist.
Am Anfang der Gehörlosenarbeit in Emsdetten stand 1986 die Eröffnung des ersten und einzigen Wohnheims in Deutschland für gehörlose Suchtkranke, um sie nach einer Entwöhnung in Minden weiterhin betreuen zu können. Inga Stecknitz beruflicher Werdegang und Erfolg kennzeichnet die derzeitig erreichte Entwicklung. Leicht war es für sie nicht, wie sie in Gebärden, übersetzt für die Hörenden von zwei Gebärdendolmetschern, schilderte. Einen klassischen Beruf für Gehörlose wie technische Zeichnerin wollte sie nicht, sondern im sozialen Bereich arbeiten. Nach einer Ausbildung als Erzieherin arbeitete sie unter anderem in der Offenen Ganztagsgrundschule.
Sie war die erste gehörlose Fachkraft, die die Caritas Emsdetten-Greven eingestellt hat. Unerwartete Probleme ergaben sich immer wieder. Aber: "Ich habe eine zunehmende Offenheit bei Vorgesetzten und Kollegen gespürt", gebärdete Stecknitz. "Wir erleben die Zusammenarbeit als gewinnbringend und belebend", bestätigte Fachdienstleiterin Michaela Kopp. Inklusion sei hier "nicht nur eine theoretische Hülle sondern gelebte Praxis".
Diözesancaritasdirektor Heinz-Josef Kessmann bescheinigte der Caritas Emsdetten-Greven, auf dem Feld der "Sinnesbehinderung" vorangegangen zu sein. Ein Beispiel sei der Verband auch in der Zusammenarbeit der Fachdienste untereinander und mit anderen Trägern. Es gehe nicht an, nur politische Rahmenbedingungen zu fordern, sondern sich selbst zu fragen, was getan werden könne, um Menschen mit Behinderungen Arbeit zu geben.
Wohnen sei die Basis, erklärte der Vorsitzende des Fachverbandes Caritas-Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP), Johannes Magin aus Regensburg. Zentral für Teilhabe und damit für Inklusion aber sei Arbeit. Zu häufig werde in zwei Welten gedacht, den Betrieben auf der einen und den Werkstätten für behinderte Menschen auf der anderen Seite. Die Barriere dazwischen müsse überwunden werden. Ebenso werde zu sehr auf die Einschränkungen einer Behinderung geschaut und zu wenig auf die Stärken der Menschen.
Dabei könne man wie der Caritasverband Emsdetten-Greven im Miteinander viel voneinander lernen. Kritisch sei nicht zuletzt auch in den eigenen Verbänden und Einrichtungen das Denken in Stellenplänen statt in Aufgaben. Wenn jemand nur den Teil einer Stelle ausfüllen könne, müsse man versuchen, die Stellen aufzulösen und die Aufgaben neu zusammenzustellen. Die speziellen Einschränkungen und Erfordernisse der gehörlosen Menschen betreffen, so Magin, bundesweit 50.000 Menschen, davon 12.000 in Nordrhein-Westfalen. Für sie reichten die 120 Gebärdendolmetscher in NRW nicht aus.
Michaela Kopp erklärte, dass die Caritas in Emsdetten-Greven gerne schon früher Mitarbeiter mit Hörschädigungen beschäftigt hätte. Aber es habe schlicht keine mit entsprechender pädaogischer Ausbildung gegeben. Hier könnte Inga Stecknitz mit ihrem Beispiel den Weg ebnen.
Zum Abschluss des Besuches sahen die Gäste dem Gebärdenchor "Sing a Sign" zu und machten sich nach einem Mittagessen in der Pop-up-Bar hörend auf den Weg zurück nach Münster.
106/2016 (hgw) 6. Septe