Daran blieb kein Zweifel bei einer Diskussion zum Thema Altenhilfe im Vorfeld der Landtagswahl. rund zwei Dutzend Kommunal- und Landespolitiker kamen am Mittwochabend nach Kamp-Lintfort. Eingeladen hatten die Caritasverbände in den Kreisen Borken, Coesfeld, Kleve und Wesel sowie der Diözesancaritasverband Münster. Für den Kreis Kleve beispielsweise hat die Bertelsmann-Stiftung ausgerechnet, dass bis 2030 rund 2.400 Pflegeplätze benötigt werden. Dafür müssten 30 Altenheime oder 200 Wohngemeinschaften neu entstehen.
Diözesancaritasdirektor Heinz-Josef Kessmann sah das Land Nordrhein-Westfalen schlecht gerüstet dafür. Zumindest müsse die Politik aber den erreichten Stand sichern. Stattdessen "werden die bestehenden Strukturen gefährdet und gibt es keine Anreize für Investitionen", kritisierte Kessmann mit Bezug auf das Altenpflegegesetz und seine Durchführungsverordnung. Da bleibe für die neue Landesregierung viel zu tun. Hier gehe es auch nicht um die Diskussion jährlicher Haushalte, sondern "wir brauchen einen langen Atem".
Dass Altenheime weitgehend überflüssig werden könnten und sich die Pflege alter Menschen in Quartieren mit ambulanten Diensten, ehrenamtlichem Einsatz und Nachbarschaftshilfe organisieren ließe, hielt Gisela Demmer, Vorstand der Caritas Moers-Xanten, für einen "blauäugigen Ansatz". Als Ergänzung sei dies denkbar. Den Quartiersprojekten, die auch ihr Verband anstoße, fehle es jedoch an Nachhaltigkeit, wenn nach Auslaufen der Förderung nur "die Hoffnung bleibt, dass sich das von allein weiterentwickelt".
Derweil kriselt es in verschiedenen Feldern der Altenhilfe angefangen bei der Ausbildung. Anerkannt wurde in der Diskussion, dass die Landesregierung in den vergangenen fünf Jahren die Plätze in den Fachseminaren für Altenpflege von 10.000 auf 17.500 erhöht hat. Nach wie vor sei die Ausbildung der Altenpfleger aber deutlich benachteiligt gegenüber der Krankenpflege, erklärte Wolfgang Dargel, Leiter des Caritas-Bildungswerks Ahaus. Würden hier 280 Euro pro Schüler und Monat aufgewendet, seien es für angehende Krankenschwestern 430 bis 520 Euro. Das wirke sich natürlich auf die Ausstattung und Personalsituation aus.
Spürbar sei, so Dargel, schon ein abnehmendes Interesse junger Menschen an der Ausbildung. Den Grund dafür konnte Stephan Baar benennen, der seit einem halben Jahr examiniert ist. Spaß mache ihm der Beruf, aber die Bezahlung empfinde er als zu gering und die Belastung durch zu wenig Mitarbeiter als zu hoch. Den Fachkräftemangel mit Flüchtlingen zu lösen, sieht Dargel nur als langfristige Perspektive. Genauso wie bei den Vorschlägen, nicht mehr benötigte Bergleute und "Schlecker-Frauen" umzuschulen, gelte hier, dass nicht jeder für die Altenpflege geeignet sei. Gute Sprachkenntnisse und Gespür für die soziale Situation bräuchten zudem Zeit.
Eine Alternative zum Heim sieht die Politik in Wohngemeinschaften. Dass dies gut funktionieren kann,
bestätigte Margit Kasparek, die für die Caritas Borken eine WG in Raesfeld leitet. Allerdings sei nicht jeder ein WG-Typ. Immer schwieriger werde auch hier die Finanzierung wegen der immer höheren Auflagen. Könnten die Bewohner die Kosten selbst nicht mehr tragen und müssten Grundsicherung beantragen, drohe auch ein Auszug, wenn zugestandene Wohnfläche und Mietkosten überschritten würden.
Das Altenheim sieht Mathias Labza als "ungeliebtes Kind" der Landespolitik, das nur noch geduldet werde. Aber es werde noch gebraucht. Aktuell größtes Problem ist nach Meinung von Karl Döring, Vorstand des Caritasverbandes Geldern-Kevelaer die mangelnde Zuverlässigkeit. Erst sei die Abschreibungsdauer von 50 auf 25 Jahre halbiert worden, was zu einem Bauboom geführt habe. Vor einigen Jahren sei sie wieder auf 50 Jahre angehoben w0rden. Hinzu komme die Forderung, bis Ende Juli 2018 eine Einzelzimmerquote von 80 Prozent zu erreichen. Zu diesen Bedingungen könne aber kein Altenheim gebaut oder umgebaut werden.
Die Anliegen der Caritas-Vertreter stießen in der Diskussion weitgehend auf Verständnis der Politiker. Viele von ihnen kennen die Situation aus eigener Erahrung, weil sie selbst ausgebildete Alten- und Krankenpfleger sind und auch eine Weile in diesem Beruf gearbeitet haben. Das grundsätzliche Problem benannte Rene Schneider von der SPD Wesel: Die gleiche Diskussion würde sich mit vielen Gruppen ergeben, die ebenfalls mehr Geld anmahnten. Aber mehr Steuern zu fordern, werde kein Politiker im Wahlkampf fordern.
Hier stellte sich für Heinz-Josef Kessmann die Frage: "Was ist uns die Daseinsvorsorge wert?" Entschieden werden müsse, wo Schwerpunkte gesetzt werden. Die Politik könne sich hier auch nicht ihrer Verantwortung entziehen. Sie müsse die Rahmenbedingungen vorgeben. Deutlich werde im Feld der Altenhilfe, dass verschiedene Politikfelder zusammenarbeiten müssen. Gefragt sei hier eine Verknüpfung zwischen der Integration von Flüchtlingen, einem wünschenswerten Ausbau des Freiwilligen Sozialen Jahres beziehungsweise des Bundesfreiwilligendienstes aber auch der Stadtplanung.
024/2017 (hgw) 30. März 2017