Wären da nicht die eher ungewohnten Vornamen der Kinder auf den Rückenschildern, bei manchen auch die dunklere Hautfarbe, "man würde die Flüchtlingskinder nicht herausfinden", sagt Marina Hardt (35). Dabei sind es noch elf von 70 Kindern insgesamt, die die Leiterin des Familienzentrums St. Anna in Dülmen und ihre Kolleginnen betreuen. Eine Familie aus dem Kosovo ist gerade abgeschoben worden, zwei ihrer Kinder waren auch in St. Anna. "Wir wären traurig, wenn wir noch jemanden verlieren", sagt Hardt.
Ein Satz, der die Erfahrungen mit Flüchtlingskindern gut ein Jahr nach dem Zuzug vieler Familien gut zusammenfasst. Einfach war es nicht, als in kürzester Zeit soviele neue Kinder fremder Kultur und Sprache aufgenommen werden mussten. Aber auch Hardts Kollegin Sabrina Nikolaus (28) bestätigt: "Das hat uns bereichert und weiter gebracht".
Mehrfach hat Ludger Schulten im Diözesancaritasverband Münster Abfragen unter den gut 700 katholischen Kitas im nordrhein-westfälischen Teil des Bistums gestartet. Auch wenn nicht alle geantwortet haben, zeigt sich der deutliche Anstieg seit Herbst 2015. Hatte im März 2015 eine Minderheit von 76 Einrichtungen 220 Kinder aufgenommen, waren es in der jüngsten Erhebung 854 in 249 Kitas. Schulten geht angesichts einer gewissen Dunkelziffer von tatsächlich weit über 1.000 Kindern aus. Parallel dazu gewachsen ist auch die Warteliste, auf der Ende Oktober 2016 noch 520 Kinder standen.
Kitas wie St. Anna haben gleich ein Dutzend neue Kinder ferner Länder in ihre Gruppen integriert, weil gerade Plätze frei waren. Andere wie St. Josef in Ahaus nur drei. Dort betont Marita Leuders wie ihre Kollegin in Dülmen, dass streng nach Alter vorgegangen wird. Ein Unterschied zwischen deutschen Kindern und denen "mit Fluchterfahrung" wird weder hier noch dort gemacht: "Es gelten die gleichen Regeln", sagt Leuders.
Bei drei von 82 Kindern in St. Josef ist der Anteil eher gering, insgesamt haben die fünf Einrichtungen des Kitaverbundes St. Mariä Himmelfahrt acht Kinder aufgenommen. Allerdings haben die Erzieherinnen schon viel Erfahrung mit Kindern mit Migrationshintergrund. Als vorteilhaft hat sich erwiesen, dass die Flüchtlingskinder schon ab August 2015 in einem Projekt in Zusammenarbeit mit dem Berufskolleg Canisiusstift und Migrationshelfern an einem Nachmittag in der Woche die Kita kennenlernen konnten.
"Wir wollten ihnen auch die Möglichkeit bieten, für eine gewisse Zeit in einer anderen räumlichen Umgebung als dem Flüchtlingswohnheim zu spielen", erläutert Marita Leuders. Zudem wurden die Familien dabei von ihren Migrationshelfern begleitet. so war die Eingewöhnung ab Januar 2016 gut vorbereitet und kein Problem mehr. Eine Mutter aus Nigeria bestätigt dies. Ihre Zwillinge fühlten sich sehr wohl, auch ihr Sohn habe das halbe Jahr vor der Schule hier genossen. Jetzt sei es schwieriger geworden.
Die größte Schwierigkeit war in den ersten Tagen die Sprache, berichten beide Kita-Leiterinnen. Die Langenscheidt-Bücher mit den Bildern zur ersten Verständigung sind allerdings ganz schnell wieder in der Schublade verschwunden. Hände und Füße waren stattdessen gefragt und in St. Anna waren die Erzieherinnen glücklich, gerade einen jungen Syrer als Praktikanten zu haben. Zu den Grundregeln wurden Fotos gemacht, die mit dickem roten Balken zeigen, was nicht geht.
Als schwierig erwiesen sich anfangs auch die kulturellen Unterschiede. Irritiert reagierten Väter auf die vorsichtige Frage, ob sie ihr Kind wickeln wollten, sagt Sabrina Nikolaus. In ihren Heimatländern sei das Frauensache. Manche Kinder hätten beim Frühstücksbüffet anfangs ihre Teller viel zu voll gepackt und vor allem mit Wurst - ein Hinweis auf den erlittenen Hunger.
Die Sorge, dass manche Kinder traumatisiert ankommen und sich entsprechend verhalten, war dagegen schnell zerstreut. "Die Kinder kommen und strahlen. Die sind einfach glücklich da zu sein," sagt Marita Leuders. Die Erzieherinnen hatten sich, soweit in der Kürze der Zeit möglich, auf Traumatisierungen vorbereitet. Weiterhin gibt es einen engen Kontakt mit der Ehe- und Familienberatungsstelle und der Caritas Ahaus-Vreden, berichtet Verbundleiterin Jutta Brüggemann: "Es ist wichtig, das wir dafür sensibilisiert sind".
Grundsätzlich sind Kinder anderer Herkunft für die Erzieherinnen nichts Neues. "Die Hälfte hat einen Migrationshintergrund in St. Josef", erklärt Leuders und das ist eher die Normalität. Die Erzieherinnen sehen es positiv, dass die "Kinder schon in der Kita auf unsere vielfältige Gesellschaft vorbereitet werden", so Brüggemann.
Natürlich sind darunter auch eine Reihe muslimischer Kinder. In St. Josef hat Marita Leuders die Konsequenz gezogen, dass es kein Schweinefleisch mehr gibt. "Das erspart uns Diskussionen", sagt die Leiterin - und natürlich auch das Aufpassen, dass sich da nicht versehentlich etwas vermischt. Ansonsten sei das Verhältnis völlig entspannt, beobachtet Jutta Brüggemann. Muslimische Familien gingen auch mal mit in den Gottesdienst.
Kinder, das beobachten die Erzieherinnen allerorten, gehen unbefangen miteinander um, kennen noch keine Vorurteile. Wenn denn erst einmal geprüft ist, dass die fremde Farbe der Haut nicht abfärbt. Das mussten einige Kinder erst einmal testen.
008/2017 (hgw) 10. Februar 2017