Eine Verabschiedung vor der Bundestagswahl im kommenden Jahr ist aus Sicht von Caritas und ihres Fachverbandes Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) dringend erforderlich. Die neuen Regelungen stärken die Adoptionsberatung sowohl vor als auch während und nach einer Adoption Sie bieten den Adoptivkindern mehr Möglichkeiten für die Biographiearbeit und auch den abgebenden Eltern die Chance auf Beratung und allgemeine Informationen. Bislang scheiterte das Gesetz an der Gleichbehandlung von Adoptiveltern, die in einer gleichgeschlechtlichen Ehe oder Partnerschaft leben.
Insbesondere für die Adoptivkinder sieht Roswitha Göcke aus über 20 Jahren Beratungspraxis beim SkF Ibbenbüren Vorteile im Adoptionshilfegesetz. Bislang ist eine Begleitung der Adoptivfamilie nur im ersten Jahr nach Abschluss der Adoption vorgesehen. Künftig soll es einen Anspruch darüber hinaus geben. Wichtig sei dies vor allem für die Biographiearbeit mit den Kindern. Ab 16 Jahre haben sie ein Recht darauf zu erfahren, wer ihre leiblichen Eltern sind. Wird darüber vorher geschwiegen, "drohen Brüche in der Biographie der Kinder", weiß Göcke aus Erfahrung.
Schon ihr Vorgänger in der Adoptionsberatung habe Eltern ermutigt, "Lebensbriefe" für ihre Kinder zu schreiben. Auch Roswitha Göcke und ihre beiden Kolleginnen bieten den Eltern an, sich weiterhin Rat zu holen. Das geschehe jedoch viel zu selten und bislang fehle die Finanzierung. Durch das neue Gesetz seien neue Möglichkeiten gegeben wie zum Beispiel ein Stundenkontingent für Stiefkindadoptionen. Auch wenn die Beratung weiterhin ein freiwilliges Angebot bleibe, erwartet Göcke eine stärkere Motivation der Eltern.
In der Praxis erlebt sie, dass Kinder bereits mit drei Jahren die ersten Fragen stellen: "War ich auch in Deinem Bauch?", erst mit fünf oder sechs Jahren folge "warum nicht?" und mit 14 fragten die Jugendlichen: "Wo war die Hilfe vom Staat?". Die sei bislang nicht vorgesehen. Im Ergebnis des bisherigen Schweigens berät sie derzeit einen Mann, dessen 14jähriger Sohn nach seinen leiblichen Großeltern frage. Erst jetzt bitte der 48jährige Vater um Akteneinsicht und setze sich mit seiner eigenen Biographie als Adoptivkind auseinander.
Gestärkt werden soll im Gesetz zudem die Rolle der abgebenden Eltern. Sie sollen die Möglichkeit auf allgemeine Informationen über die Entwicklung ihres Kindes erhalten. Sie durchlebten vor allem zu den Geburtstagen jährlich neue emotionale Phasen, erklärt Göcke.
All diese Regelungen und damit 99 Prozent des Gesetzes seien längst unstrittig, nachdem sie im Zuge einer schon in der letzten Legislaturperiode unter der damaligen Familienministerin Manuela Schwesig begonnenen Debatte auf der Grundlage einer breit angelegten Untersuchung des Deutschen Jugendinstituts erarbeiten worden seien. Das für sehr wenige Einzelfälle verbleibende Problem der Gleichbehandlung gleichgeschlechtlicher Paare hätte man nach Meinung von Roswitha Göcke ausklammern sollen, um den guten Kern zeitnah umsetzen zu können.
Bei dem Problem, das im Bundesrat im Juni von einer Mehrheit der Länder als Diskriminierung angesehen wurde und zu einer Ablehnung ohne Anhörung des Vermittlungsausschuss führte, geht es um die verpflichtende Beratung auch für Stiefkindadoptionen. Wenn in der Ehe zweier Frauen eine Mutter wird, muss nur ihre Partnerin dieses Kind adoptieren, um das Sorgerecht zu bekommen, erklärt Roswitha Göcke. Wollen dagegen zwei miteinander verheiratete Männer ein Kind, müssen beide es adoptieren.
Roswitha Göcke hofft, dass diese biologisch schwer auszuräumende Hürde, in den neuen Beratungen endlich genommen wird.
119-2020 (hgw) 8. Dezember 2020