Die dem Patienten mehr Mitbestimmung ermöglicht und die Pflegekraft sowohl in ihrer Fachlichkeit fordert als auch vom täglichen Abhaken der "Immer-So-Leistungen" entlastet. "Gerade auch die ausufernde Dokumentation, die bis zu einem Drittel der Arbeitszeit erfordert, belastet unsere Mitarbeiter in der Pflege", erklärt Diözesancaritasdirektor Heinz-Josef Kessmann. Der Caritasverband für die Diözese Münster stellte am Dienstag zum Internationalen Tag der Pflege im Rahmen der Aktion "Wir für Sie" der Freien Wohlfahrtspflege NRW erste Erfahrungen aus dem Projekt PraxSIS vor, in dem die Mitarbeiter in Altenheimen und Sozialstationen für das neue Dokumentationssystem geschult werden. Der Verband ist damit bundesweit Vorreiter und bereitet die Einrichtungen schon jetzt auf den für 2017 erwarteten neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff vor.
"Pflege ist ein toller Beruf", weiß Anne Eckert, Referatsleiterin Altenhilfe, aus eigener Erfahrung. Die Mitarbeitenden wollten durchaus Pflegeprozesse in der Dokumentation abbilden, aber nicht viel Zeit dafür aufwenden, die immer gleichen Handgriffe aufzuschreiben. Wenn man neue Mitarbeitende gewinnen und erfahrene halten wolle, was angesichts immer mehr älterer Menschen immer drängender werde, dürfe man sie hier nicht demotivieren, erklärte Kessmann.
Wie hoch der Leidensdruck ist, zeigt sich in der Zahl der Anmeldungen für PraxSIS. Auf Anhieb meldeten über die Hälfte der 203 Altenheime und 90 Sozialstationen der Caritas in der Diözese Münster sich an. Im Januar ist der erste Durchlauf in drei Kursen gestartet und inzwischen abgeschlossen. Die Rückmeldungen, so Eckert, seien sehr positiv.
Mit gerade zwei halben Projektstellen soll das neue Verfahren in knapp zwei Jahren in rund 75 Prozent aller Altenheime und Sozialstationen in der Diözese Münster umgesetzt sein, erwartet Eckert. Erreicht wird das durch das Multplikatoren-System. Geschult und in der Umsetzung begleitet werden jeweils nur zwei Mitarbeitende einer Einrichtung oder Station. Die geben ihr Wissen intern weiter. "Das ist schon ein großes Rad, das wir drehen, bei rund 15.000 Mitarbeitern in Sozialstationen und 14.500 in Altenheimen", erklärt Eckert.
Mitarbeitende von ungeliebten Tätigkeiten zu entlasten, hält Burkhard Baumann, einer der Sprecher der Diözesanen Arbeitsgemeinschaft Altenhilfe und Geschäftsführer der Domus Caritas in Steinfurt, für dringend geboten. Sonst werde es noch schwieriger, genügend Nachwuchskräfte zu finden und erfahrene Kräfte im Beruf zu halten. Auf andere schwierige Rahmenbedingungen wie den engen zeitlichen Vorgaben, habe die Caritas als einzelner Verband keinen direkten Einfluss. "Aber an der Dokumentation können wir selbst etwas tun," sagt Baumann. Rechtlich sei geklärt, dass es auch mit weniger gehe.
Sorge vor weniger Qualität durch weniger Dokumentation sei unbegründet, versichert Monika Brüggenthies, Referentin für die ambulante Pflege im Diözesancaritasverband Münster. Im Gegenteil "gewinnen der Patient und Bewohner ein Stück Selbstbestimmung zurück". Nach dem bisherigen System der Pflegeplanung gebe vor allem der Mitarbeiter vor, was ihm gut tue. Im neuen Verfahren, werde gemeinsam überlegt, was sinnvoll und notwendig sei. Das führe auf beiden Seiten zu höherer Zufriedenheit. Die grundlegende Pflegeplanung sei damit in maximal drei Tagen erledigt, während sich bisher das Ausfüllen der vielen Bögen über zwei Wochen hinziehen könne.Anschließend würden im wesentlichen die Besonderheiten und Veränderungen dokumentiert.
Die Caritas in der Diözese Münster unterstützt mit ihrem Vorstoß die Bemühungen des Pflegebeauftragten der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann, um eine effizientere Pflegedokumentation. Er hatte bei einem Besuch in Münster im vergangenen Sommer erklärt, dass dies nur gelingen könne, wenn eine große Zahl von Einrichtungen und Diensten das Verfahren in der Praxis einführe. Erfolgreich getestet worden war es zuvor in einem Modellprojekt auf Bundesebene, an dem sich der Caritasverband Datteln und ViCa - Die Ambulante Pflege in Coesfeld beteiligt hatten.
056/2015 (hgw) 12. Mai 2015