Manchen dieser Kinder "sieht man den Schrecken im Gesicht an", erfährt Roswitha Göcke immer wieder. "Sie müssen langsam wieder ins Leben geholt werden", beschreibt die Leiterin des Adoptions- und Pflegekinderdienstes beim Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) Ibbenbüren. In drei bis sechs Monaten soll dann geklärt werden, was weiter geschieht. Zumeist wird das Kind in eine dauerhafte Pflegefamilie vermittelt.
Egal wie gering die schlimmen Vorerfahrungen, spurlos gehen sie an Kindern nicht vorbei. Selbst wenn sie nur wenige Wochen alt sind, ist für Roswitha Göcke klar: "Der Rucksack ist für alle Kinder gefüllt". Zudem bleibt der Wechsel von den eigenen Eltern ein Verlust, unabhängig davon wie schlecht die Erfahrungen dort gewesen sein mögen. Aber in den Bereitschaftspflegefamilien erleben viele "erstmals eine gute Versorgung", können wieder Vertrauen in die Welt fassen.
Allerdings lässt sich ein weiterer Bruch nicht vermeiden. Entweder klärt sich die schwierige Situation der leiblichen Eltern und die Kinder können zurück oder es wird für sie eine Pflegefamilie gesucht. Rückführungen sind der kleinere Teil. Die Gesamtstatistik der Pflegekinderdienste der katholischen Dienste und Einrichtungen in der Diözese Münster weist aus, dass nur 46 von 151 Kindern, für die die Hilfe beendet werden konnte, 2018 in ihre Ursprungsfamilie zurückkehrten.
Bleiben können die Kinder nicht in der Bereitschaftspflegefamilie. Dass diese Zwischenphase nicht länger als ein halbes Jahr dauern soll, bleibt nach der Erfahrung der SkF-Mitarbeiterin allerdings häufig Theorie. Ist ein Gutachten zur Klärung des Sorgerechts erforderlich, "vergeht mindestens ein Jahr". Manchmal dauere es bis zu zwei Jahren. Zudem müssen Pflegefamilien gefunden, gut ausgesucht und intensiv vorbereitet werden. Da gibt es nie genügend Interessenten.
Immerhin können Roswitha Göcke und ihre neun Kolleginnen und ein Kollege auf zehn Bereitschaftspflegefamilien zurückgreifen, für die der ständige Wechsel und die kurzfristigen Übernahmen der Kinder eine besondere Herausforderung ist. Das seien alles Menschen, die ganz bewusst etwas mit Kindern machen wollen. Für "sie geht die Sonne auf", wenn es gelinge, ihren Schützlingen wieder ein erstes Lächeln zu entlocken. So schwierig danach der Abschied sei, könnten sie sich doch freuen, wenn sie "tolle neue Eltern finden", sagt Roswitha Göcke.
Auch nach der Vermittlung begleitet das SkF-Team die Familien intensiv. Tatsächlich ist dies die Hauptaufgabe. Diözesanweit wurden 2018 auf stabilem Niveau 181 Kindern neu vermittelt, aber insgesamt 1.247 in ihren neuen Familien begleitet. Ibbenbüren hatte mit 165 daran einen erheblichen Anteil als größter Adoptions- und Pflegekinderdienst in der Diözese.
In der Vermittlung spielen Adoptionen nur noch eine geringe Rolle, erklärt Roswitha Göcke. Ein Kind zur Adoption freizugeben, bedeute nach wie vor ein persönliches Drama. Heute zwinge aber die wirtschaftliche und rechtliche Not weniger dazu als vor einigen Jahrzehnten, denn es gebe vielfältige Hilfen. Was durchaus vorkomme seien Adoptionen, für die sich Pflegekinder bei Volljährigkeit entschieden. Für sie sei klar, "die haben für mich gesorgt und sie wollten schon immer den Namen ihrer Pflegefamilie tragen", erklärt Göcke. Auch Stiefkindadoptionen seien nicht ungewöhnlich.
Immer sei sowohl bei Adoptions- wie Pflegekindern das Ziel, dass keine weiteren Brüche in den Lebensgeschichten passieren, erklärt die SkF-Mitarbeiterin. Insofern spielt hier die Begleitung von Adoptionen nach wie vor eine große Rolle, auch wenn fast keine jungen Kinder mehr vermittelt werden.
Das ist aus Sicht von Göcke auch deshalb so wichtig, weil Kinder "als erstes mit Schuldgefühlen reagieren". Da müsse ganz intensiv dran gearbeitet werden, dass es nicht ihre Schuld sei, dass sie nicht mehr bei ihren Eltern leben: "Die Erwachsenen tragen die Verantwortung tragen".
052-2019 (hgw) 21. August 2019