Für WDR-Moderator Jürgen Wiebicke ist aber klar, dass "wir eine kritische Masse für die Demokratie erreichen müssen". Die Weimarer Republik sei nicht an den Nationalsozialisten gescheitert, sondern "am Defizit an Demokraten". Demokratie bewusst leben und den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern, ist das Ziel des Caritas-Projekts „First Step – Demokratie bewusst leben“, in dem jetzt eine erste Zwischenbilanz gezogen werden konnte.
Dies scheine nicht die ureigene Aufgabe der Caritas zu sein, bekannte Diözesancaritasdirektor Heinz-Josef Kessmann. Aber: "Die demokratischen Grundlagen sind für uns lebensnotwendig". Nur auf dieser Basis sei soziale Arbeit möglich. First Step wolle dies wieder bewusst machen und Antworten auf die Frage finden, wie mit den schleichenden Veränderungen in der Gesellschaft umgegangen werden solle, die die Demokratie gefährden und unter anderem zu den aktuellen Wahlergebnissen führten.
Einen Grund dafür sieht Jürgen Wiebicke in erlebter Ohnmacht. "Die alte Fortschrittsidee fehlt", stellte er fest. Das sei in der Nachkriegszeit anders gewesen. Viele sähen durch die Globalisierung die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten eingeschränkt, hätten das Gefühl, dass man eh nichts machen könne. Da gebe es "eine unglaubliche Bereitschaft, sich zum Opfer zu machen". Die Idee der Demokratie brauche aber Zuversicht, dass die Welt gestaltet werden und das eigene Tun Spuren hinterlassen könne.
Wiebicke warb dafür, Netzwerke zu schaffen und dann zu überlegen, was man bewegen wolle. Derzeit bildeten sie sich in der Regel nur noch, um etwas zu verhindern. Doch die Zeit sei sehr günstig für neue Anfänge. Den Höhepunkt des Neoliberalismus sieht der WDR-Moderator und Autor für überschritten. Zunehmend an Fahrt gewinne das unterschwellige große Thema, wie man aus der Vereinzelung herauskomme: "Es gibt eine tiefe Sehnsucht, die Einsamkeit zu überwinden".
Hoffnung hat Wiebicke auch, AfD-Wähler wieder in die Mitte der Gesellschaft zurückzuholen. Nach persönlichen Vor-Ort-Studien habe er den Eindruck gewonnen, dass es bei den meisten eher um Protest gehe. Mit der richtigen Einstellung sei hier ein Dialog möglich. Dazu müsse man offen für andere Meinungen sein und sie bis zu einer gewissen Grenze aushalten.
Dafür plädierte auch Theodor Damm, Koordinator des Projekts First Step. Sieben Tandems aus Verbänden und Einrichtungen der Caritas haben sich in einer umfangreichen Fortbildung damit auseinander gesetzt, wie extremen Strömungen begegnet und Toleranz gefördert werden kann und dafür Projekte entwickelt. So hat zum Beispiel das St. Antonius-Haus in Herten einen alten Zigarettenautomat umfunktioniert und "Schächtelchen für Demokratie" befüllt, die daraus gezogen werden können. Der Sozialdienst katholischer Frauen in Recklinghausen hat nach Menschen und Orten gesucht, die im Vest wichtig für die demokratische Entwicklung waren. Daran wird nach dem "Zwischenschritt" weiter gearbeitet. Die Fortbildungsteilnehmer sollen dabei ihre Erkenntnisse als Multiplikatoren weitergeben.
020-2019 (hgw) 26. Februar 2019