Die Arbeitsgemeinschaft Erziehungshilfen (AGE) der Caritas in der Diözese Münster treibt die Sorge um, dass auch künftig Jugendhilfe nach Kassenlage gewährt wird, wenn weiterhin die Kommunen allein zuständig bleiben. Michael Kaiser, Vorsitzender der AGE, fordert eine Beteiligung von Bund und Land: "Kinderschutz darf kein Luxusgut sein". Wie schon vorbeugend gehandelt werden kann, zeigt das Konzept "Grenzachtender Umgang", das die AGE erarbeitet und seit nunmehr zehn Jahren in der Jugendhilfe verankert hat. In der Arbeitsgemeinschaft haben sich alle ambulanten und stationären Erziehungshilfen der Caritas in der Diözese Münster zusammengeschlossen.
Dass die Sorge um eine unterschiedliche Kostenausstattung der Jugendämter durchaus real ist, ergibt sich für Markus Hansen, Leiter des Junikum in Oer-Erkenschwick, aus zwei gegenläufigen Entwicklungen: Einerseits führe die gestiegene Sensibilität für das Thema zu rund zehn Prozent mehr Meldungen von Kindesmissbrauch, andererseits blieben die Zahlen in der ambulanten und stationären Jugendhilfe auf stabilem Niveau. Auch hier gebe es zwar teilweise mehr Fälle, aber im Durchschnitt werde für den Einzelfall weniger Zeit bewilligt.
Den Bekundungen für mehr Kinderschutz müssen nach Ansicht von Michael Kaiser finanzielle Taten folgen, denn nur so könnten die Jugendämter unabhängig von der Finanzkraft der jeweiligen Kommune gestärkt werden und mehr Hilfen bewilligen. Das werde nur möglich, wenn Bund und Land sich flächendeckend engagierten.
Wenn sich das Interesse derzeit auf sexuellen Missbrauch fokussiere, sei dies allerdings zu eng geführt, erklärt Kaiser. So gehe es auch bei dem von der AGE in vielen Diskussionsrunden erarbeiteten Konzept des grenzachtenden Umgangs um Gewalt gegen Kinder insgesamt, also auch physischen und psychischen Missbrauch. Die guten Erfahrungen mit der ständigen Sensibilisierung für das Thema bei allen Mitarbeitenden und der reiche Erfahrungsschatz werde gerne zur Verfügung gestellt.
Teilweise geschieht dies beispielsweise bei der Caritas Ahlen. Das Kreisjugendamt lasse sich von den Mitarbeitenden der Fachstelle gegen sexuellen Missbrauch in allen Fällen beraten, erklärt Heinrich Sinder, Geschäftsführer der Caritas Ahlen. In Münster sitzt unter anderem die St. Mauritz Kinder- und Jugendhilfe, die Michael Kaiser leitet, mit am runden Tisch Kinderschutz.
Bislang nicht ausreichend gewürdigt werde der Aspekt, dass die Kinder selbst gestärkt und Wege gebahnt werden müssten, ihnen zuzuhören. Das Hilfesystem sei facettenreich für vielfältige Problemlagen aufgestellt. Aber die Hürden es zu erreichen, seien teilweise noch zu hoch. Im "öffentlichen Kinderschutz" gibt es hier nach Ansicht von Markus Hansen noch Defizite. "Die verschlungenen Wege sind weitgehend unbekannt - nicht zuletzt bei den Eltern", ergänzt Heinrich Sinder, stellvertretender Vorsitzender der AGE.
Die AGE-Verantwortlichen sind sich bewusst, dass auch wenn der "Grenzachtende Umgang" nicht nur ein dicker Ordner ist, sondern "ständig gelebt wird", wie Michael Kaiser versichert, ein Missbrauchsfall nicht ausgeschlossen werden kann. Aber angeregt durch die Debatte um Missbrauchsfälle in 50er und 60er Jahre in Jugendhilfe-Einrichtungen der Kirche habe man sich auf ein Verfahren geeinigt, um die Wahrscheinlichkeit deutlich abzusenken. Schon im Vorstellungsgespräch werde das Thema angesprochen und ständig in den Teams darüber diskutiert. "Präventionsfachkräfte achten bei uns darauf, dass das Thema aktuell bleibt", sagt Frank Müller, Leiter der ambulanten Erziehungshilfe bei der Caritas Rheine. Zudem gebe es eine unabhängige Beschwerdestelle.
Der Leitfaden zum grenzachtenden Umgang und die in der Umsetzung gewonnenen Erfahrungen sind auch in die Präventionsordnung des Bistums Münster eingeflossen, erklärt Marion Schulte, Geschäftsführerin der AGE.
080/2020 (hgw) 19. August 2020