Nach intensiven Diskussionen über Ursachen, Vorgehensweisen
und Vorbeugung steht die Erkenntnis: "Es geht um Haltung, Struktur und Kultur in unseren
Einrichtungen", erklärte der AGE-Vorsitzende Norbert Pastoors. Klar ist für ihn auch: "Es
gibt keine Erziehung ohne Risiko". Im mittlerweile zwölften Workshop zum grenzachtenden
Umgang wurden die bislang gewonnenen Erkenntnisse zusammengefasst und vergewisserten
sich die Teilnehmer, an welchem Punkt der Umsetzung sie sich befinden.
Die ursprüngliche Idee, mit einer Risikoanalyse übergriffigen Handlungen und Missbrauch
vorzubeugen oder ihn rechtzeitig erkennen zu können, musste im Verlauf der Diskussionen
mit Experten verworfen werden. Analyse sei zwar nicht überflüssig, erklärte Pastoors,
aber im Prinzip gehe es um "Risikosensibilisierung". Kinder forderten nun mal zu Grenzverletzungen
heraus. Es sei auch erforderlich an Grenzen zu gehen, "um Lernen möglich
zu machen".
Das berge ein hohes Risiko bei Kindern und Jugendlichen in der Erziehungshilfe. "Deswegen
haben wir eine besondere ethische Verantwortung", sagte AGE-Geschäftsführerin
Barbara Kick-Förster. Eine "Garantie für Sicherheit" gebe es nicht, stattdessen brauche es
einen ganzen "Werkzeugkasten". Als Mindeststandards einer Einrichtung benannte Kick-
Förster unter anderen Personalentwicklung, interne und externe Beschwerdemöglichkeiten
für die Kinder und Jugendlichen, aber auch Regeln für die Rehabilitation, wenn sich
ein Verdacht gegen einen Mitarbeiter als falsch herausstellt.
Eine Herausforderung sei vor allem die Balance zwischen Nähe und Distanz. In der Erziehungshilfe
"muss ich Nähe zulassen, aber professionelle Distanz wahren", so Caritas-Referentin
Anne Ruhe. Macht und Sexualität gehörten immer zu menschlichen Beziehungen.
Gefährlich werde es, "wenn dies geleugnet wird". Offen für dieses Thema zu sein, sei der
"Schlüssel für grenzachtenden Umgang". Kinder dürften Erwachsene für ihre Bedürfnisse
instrumentalisieren, aber "Erwachsene dürfen sich nicht verführen lassen", sagte Ruhe.
Notwendig sei es dafür auch, über Grenzverletzungen zu sprechen, ergänzte Marion
Schulte, zuständig für die Heimerziehung im Diözesancaritasverband Münster. In den Diensten und Einrichtungen müsse eine Atmosphäre des Vertrauens, Respekts und Offenheit geschaffen werden. Das sei vor allem eine Führungsaufgabe.
Dass der Ordner mit all den gewonnenen Erkenntnissen jetzt nicht in den Schrank gestellt werden kann, war allen den Teilnehmern, überwiegend Leitungskräften aus den Diensten und Einrichtungen, klar. "Wir müssen uns ständig mit dem grenzachtenden Umgang beschäftigen", forderte Johannes Röttgen, Referent im Diözesancaritasverband: "Einmal abschließend reicht nicht".
097-2015 18. September 2015