Die Nachfrage wächst, viele führen Wartelisten. Für Tatjana Lücke, Fachbereichsleiterin Kindertagesstätten, Kindertagespflege und Frühförderung der Caritas Rheine, ist das kein Widerspruch, sondern Ausweis dafür, dass diese spezielle Förderung notwendig ist und Teil der Bemühungen um Inklusion bleiben muss. Eine angestrebte Umstellung in der Finanzierung gefährdet ihre Arbeit. Lücke fordert: "Inklusion darf nicht zu Sparmodell werden."
Unter dem Motto "Eine Kita für alle" werde derzeit von den Landschaftsverbänden angestrebt, auch Kinder mit schweren und mehrfachen Behinderungen in den "Regel-Kitas" aufzunehmen und zu fördern, erläutert Diözesancaritasdirekor Heinz-Josef Kessmann. Während bislang die Kosten über die Behindertenhilfe der Landschaftsverbände finanziert werde, wollten sie künftig nur den '"erkennbaren Mehrbedarf des einzelnen Kindes" übernehmen, nicht aber wie derzeit das Gesamtbudget für eine erforderliche intensivere personelle Betreuung und entsprechende Räumlichkeiten als auch die Fahrtkosten zu den Heilpädagogischen Einrichtungen dort.
"Wenn wir die Strukturen erhalten wollen, müssen die Landschaftsverbände die notwendigen Kosten übernehmen", fordert dagegen Kessmann in den seit einem Jahr laufenden Verhandlungen. Alle Kinder in Regel-Kitas ausreichend fördern zu können, hält er für illusorisch. Tatjana Lücke bei der Caritas Rheine kann das aus praktischer Erfahrung nur bestätigen.
Das Besondere einer Heilpädagogischen Einrichtung und für Kinder mit den unterschiedlichsten Behinderungsformen auch Notwendige ist aus ihrer Sicht die kleineren Gruppen und ein interdisziplinäres Team in der Betreuung. Sie kennt die Kinder, die die Reizüberflutung in der Regelgruppe einer Kita nicht aushalten, die gerade bei sozio-emotionalen Störungen auffällig werden und damit dort auch für die anderen Kinder eine schwierige Herausforderung werden. Gerade ihr Anteil nehme ebenso wie der der autistischen Kinder zu, beobachtet Lücke.
Dabei arbeiten fast alle heilpädagogischen Einrichtungen mittlerweile ebenso integrativ und machten damit gute Erfahrungen, berichtet Tatjana Lücke. Aber eben in deutlich kleineren Gruppen und mit höherem Personalschlüssel. Manche Kinder benötigten tatsächlich eine 1:1-Betreuung. In der Regel-Kita würden 20 bis 25 Kinder in einer Gruppe betreut und bei Aufnahme von Kindern mit Behinderung das Personal geringfügig aufgestockt oder die Platzzahl um zwei oder drei Kinder reduziert. In reinen heilpädagogischen Einrichtungen seien es dagegen nur 14 bis 16 Kinder oder in Gruppen mit besonders hohem Förderbedarf auch nur acht bis zehn. Nur so könnten sich die Kinder mit ihren Stärken gegenseitig bereichern und die notwendige Förderung bekommen.
Beispiel dafür ist für Tatjana Lücke ein Junge mit Sprachdefiziten, der in der Regel-Kita unter all den anderen Kindern das Sprechen aufgegeben habe. Im Dreikönigs-Kindergarten habe er gemerkt, dass er damit nicht allein sei und allmählich wieder zur Sprache zurückgefunden. Hier könnten sich die Kinder auch ergänzen, das Kind im Rollstuhl dem Jungen helfen beim Sprechen lernen. Und umgekehrt dieser Junge als seine Stärke erleben, dass er den Rollstuhl schieben kann, erklärt Lücke.
Theoretisch sei es sicher keine schlechte Idee im Bundesteilhabegesetz, wenn jede Kita kleinere Gruppen vorhalte, wenn sie Kinder mit Behinderungen aufnehme. In der Praxis sei das jedoch nicht umzusetzen. Wenn die Kita Plätze zusagt habe, dann aber wieder einzelne absagen müsste, wenn noch ein Kind mit Behinderung angemeldet werde, werde das weder auf Verständnis bei den Eltern treffen, noch sei es mit dem Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz vereinbar. Derzeit werde jeder Platz gebraucht und im Übrigen gebe es gar nicht die Fachkräfte, die die erforderliche besondere Förderung dort übernehmen könnten, so Lücke. Zudem fehlten häufig die ebenso notwendigen zusätzlichen Räumlichkeiten.
Im Dreikönigs-Kindergarten kümmern sich dagegen 21 Pädagoginnen und Pädagogen um die Kinder in vier heilpädagogischen und zwei additiven Gruppen und werden dabei unterstützt von einer Kinderkrankenschwester, Logopäden, Sprach- und Physiotherapeutinnen, Ergotherapeutin, Motopädin und dem Küchenteam. Das Problem der weiten Wege habe man teilweise durch Auslagerung von zwei weiteren Gruppen in die ebenfalls zur Caritas Rheine gehörenden Kita Abenteuerland nach Neuenkirchen gelöst. Ansonsten sei die Erfahrung, dass die Eltern für die besondere Förderung die Fahrtzeiten ihrer Kinder gerne in Kauf nähmen.
Angesichts der Schwere der Behinderungen könne es nicht gelingen, dass alle Kinder in eine "normale" Grundschule wechselten, sagt Tatjana Lücke, aber mit dieser intensiven Förderung einige schon. Auch den Wechsel in eine Regelgruppe einer Kita gebe es immer wieder.
Gewachsen sei in der Corona-Zeit, in der die Kinder zeitweise zuhause von den Eltern betreut werden mussten, die Wertschätzung für ihre Arbeit, sagt Tatjana Lücke. Eine Herausforderung seien die so individuellen Stärken und Schwächen der Kinder schon, langweilig werde es nie.
028-2021 (hgw) 30. März 2021