Beide Elternteile arbeiteten in der Regel, die Kinder seien von klein auf ständig in Gruppen unterwegs. "Es fehlt ihnen ein authentischer Gesprächspartner", sieht die promovierte Psychologin. Eben eine intensive Beziehung. Trotz deutlich sinkender Kinderzahlen, "stagniert die Nachfrage bei uns auf hohem Niveau", sagt Nachbar. 682 Fälle verzeichnet die Statistik für das vergangene Jahr, nur sieben weniger als im Vorjahr.
In Gruppen zu sein, sei an sich nicht schlecht, sagt Karin Nachbar. Aber damit kämen nicht alle Kinder klar. Manche neigten dazu, "sich entweder zurückzuziehen oder umgekehrt aggressiv zu werden." Dafür gibt es "ChaLe", eine Besonderheit der Bocholter Erziehungsberatung gibt es dank Finanzierung seitens der Stadt schon seit über 40 Jahren. Bislang hieß das Angebot "Schularbeitshilfe". Aber es ist weit mehr. "Deshalb haben wir es umbenannt in Chancengleichheit und Lernförderung," sagt Nachbar.
Bis zu fünfmal in der Woche gehen die 40 Kinder, die einen der begehrten Plätze bekommen haben, zu pädagogisch geschulten Helferinnen und Helfern nach Hause und bekommen da für eine Stunde ungeteilte Aufmerksamkeit und Unterstützung bei den Hausaufgaben. Begleitet wird dies mit zwei Stunden Beratung pro Monat im Caritas-Haus durch Karin Nachbar und ihr Team. "Die Rückmeldungen sind zu 90 Prozent positiv", weiß Nachbar. Intensiv geschult und fortlaufend begleitet werden die 45 hier aktiven Freiwilligen.
Überhaupt geht es viel darum, frühzeitig Informationen und HIlfen anzubieten, um Problemen in Erziehung und Familie vorzubeugen. Wobei auch da spürbar wird, dass Familien immer weniger Zeit haben. Früher beliebte Elternkurse finden heute nicht mehr genügend Teilnehmer, stellen die Caritas-Mitarbeiter fest. "Da setzen wir jetzt mehr auf Vorträge in Familienzentren". Mit 15 Zentren hat die Erziehungsberatung Kooperationsverträge und bietet dort regelmäßig Sprechstunden und Fallbesprechungen mit den Erzieherinnen an.
Zudem können die therapeutischen Spielgruppen im Grundschulalter helfen. Aufgefangen werden hier Kinder, "deren Situation nicht optimal ist", erklärt Karin Nachbar. Das Thema zu wenig Zeit an sich und insbesondere für die stabilen Beziehungen, die Kinder brauchen, sind für Karin Nachbar das Kernthema. Das werde in den vergangenen Jahren immer auffälliger: "Es ist wichtig, sich mal Auszeiten zu nehmen. Die brauchen auch Familien."
Manche Eltern machten sich zuviele Gedanken um die richtige Erziehung, statt auf ihr Gefühl zu vertrauen. Es sei auch nicht schlimm, mal dem Kind gegenüber laut zu werden. Es könne, wenn das nicht ständig geschehe, durchaus klar kommen. Wichtig sei, "offen und ehrlich miteinander umzugehen" und dazu gehöre es auch, als Eltern Gefühle wie Ärger oder Trauer zeigen zu dürfen. Wenn es hier oder ansonsten Schwierigkeiten gebe, ließen sich oft schnell Lösungen finden, macht Karin Nachbar Mut, sie und ihre Mitarbeiter anzusprechen.
Das Team der Erziehungsberatung ist da flexibel und hat einen großen Köcher voller Angebote, die für den Einzelfall gewählt werden können. Obwohl das finanzielle Korsett eher starr ist. Übrig geblieben aus einem Modellprojekt ist als Besonderheit im Kreis Borken ein "Drei-Säulen-Modell", das den möglichen Umfang der Hilfen festlegt. Säule 1, die "niedrigschwellige Erziehungsberatung" finanziert beispielsweise 15 Fachleistungsstunden mit je 45 Minuten. "Da müssen die Berater auf Wirtschaftlichkeit achten", sagt Nachbar. 85 Prozent ihrer Arbeitszeit muss "abrechnungsfähig" sein: "Wir haben uns da arrangiert". Erziehungsberatung sei eh unterfinanziert. Da müsse die Caritas drauflegen.
069-2015 (hgw) 29. Juli 2016
Stichwort
Statistik der Erziehungsberatungsstellen der Caritas in der Diözese Münster
Erziehungsberatung ist die am häufigsten in Anspruch genommene Unterstützung im Rahmen der im Kinder- und Jugendhilfe-Gesetz vorgesehenen Hilfen zur Erziehung. Dazu gehören zum Beispiel in geringerem Umfang auch die Jugendgerichtshilfe oder Erziehungsbeistandschaften. Die Zahl der Beratungsfälle ist seit dem Höchststand 2010 leicht rückläufig. In 2015 zählte die Caritas in ihren 19 Beratungsstellen 16.474 Fälle (2014: 17.075), von denen 10.551 Neuanmeldungen waren. Gut 11.000 Beratungen konnten abgeschlossen werden.
Von Jahr zu Jahr gelingt es besser, den anfragenden Familien schnell einen Termin zu ermöglichen. Knapp 68 Prozent konnten im vergangenen Jahr ihr Anliegen innerhalb von 14 Tagen vortragen, 2007 waren es im Vergleich erst knapp 57 Prozent. Großen Raum in der Arbeit nehmen neben den Einzelberatungen vor allem die Gruppenangebote sowie Kurse, Vorträge oder die Beratung von Kollegen in Einrichtungen ein. 2015 wurden in 584 einzelnen Veranstaltungen über 10.000 Teilnehmer erreicht und in 243 Kursen 2.431 Teilnehmer in