Das beginne damit, die eigenen Überzeugungen nicht zu verstecken: "Man muss widersprechen". Diesen Widerstand zu leisten koste Mut. Ihn zu organisieren gab Prantl der Caritas im Bistum Münster zum Auftakt ihrer Delegiertenversammlung am Freitag mit auf den Weg.
Nicht nur in Deutschland sondern weltweit sei die Humanität bedroht wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Prantl plädierte dafür, nicht verharmlosend von Populismus zu sprechen: "Ich nenne das lieber Extremismus." Trotz jüngster Wahlerfolge der AFD bestehe kein Anlass zur Panik. Aber in Deutschland sei bislang keine "Rechtsaußen-Partei" nach dem Krieg so stark gewesen. Die Situation erinnere ihn an einen ehemaligen Alkoholiker. "Wenn der wieder trinkt, wird es gefährlich", sagte der Autor und ehemalige Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung.
Beunruhigend an den Erfolgen der AFD in Sachsen und Brandenburg sei, dass sie zum einen soviele Nichtwähler habe aktivieren können und dass sie zum anderen nicht mehr aus Protest, sondern wegen der Politikinhalte gewählt werde. Mehr mit den Bürgern zu reden, werde dagegen allein nicht helfen. Der Sozialstaat müsse aktiviert werden, forderte Prantl: "Das gräbt populistischer Politik das Wasser ab". Konkrete bedeute das, gute Lebensbedingungen zu schaffen durch bezahlbaren Wohnraum in der Stadt und eine verlässliche Infrastruktur auf dem Land. Für Prantl ist das "Heimatpolitik", die dafür sorgt, dass die Demokratie nicht stirbt.
Nachvollziehbar seien die Erfolge der AFD in den ostdeutschen Bundesländern 30 Jahre nach der Wende. Der Westen habe geglaubt, dass Demokratie dort befördert werden könne durch "investieren, was das Zeug hält". Die Mehrheit der DDR-Bürger habe diese "Maschinerie als Demütigung erlebt" und reagiere entsprechend aggressiv unter anderem mit der Ablehnung Fremder.
Ein Fehler bei der Formulierung des Grundgesetzes ist aus Sicht Prantls bei der Wiedervereinigung wiederholt worden. "Mehr Demokratie wagen" habe Willy Brandt vor 50 Jahren gefordert. Diese Chance habe es 1990 gegeben. Der Publizist plädierte für mehr direkte Beteiligungsformen der Bürger. Viele hätten heute das Gefühl, dass es auf den Einzelnen nicht mehr ankomme und man allein nichts bewirken könne. Dagegen zu halten und aufzuzeigen, dass jeder in seinem Umfeld die Demokratie stärken könne, sieht Prantl auch als Aufgabe der Caritas.
Den Wohlfahrtsverbänden wies Prantl insgesamt eine wichtige Rolle zu: "Sie stehen für den guten Kern des Sozialstaats". Trotz Mitglieder- und Bedeutungsverlust seien auch die Kirchen "notwendige Institutionen für den Zusammenhalt der Gesellschaft", damit Nächstenliebe lebendig bleibe. "Wir brauchen ein Bekenntnis zur Caritas", bekräftigte Prantl.
Demokratie benötige ein Stützsystem. Zum einen müsse die "Macht der Mehrheit durch das Recht gebremst werden", zum anderen schaffe ein funktionierender Sozialstaat die Bedingungen dafür, dass "sich Menschen auf Augenhöhe begegnen können", sagte Prantl, der auch als Jurist gearbeitet hat. Dass die AFD beständig gegen den Rechtsstaat agitiere, sei dabei gefährlich.
Der Vortrag und die sich anschließende lebhafte Diskussion zum Thema "Bürgergesellschaft und Demokratie neu denken!" fand im Rahmen des Projekts "First Step - Demokratie bewusst leben" statt, in dem der Caritasverband für die Diözese Münster über drei Jahre örtliche Verbände und Einrichtungen darin unterstützt, Wege zur Stärkung der Demokratie zu entwickeln.
060-2019 (hgw) 6. September 2019