Zunächst befremdlich wie auch der Sarg, der am Café vorbei aus dem St. Magnus-Haus in Everswinkel gerollt wird und das Pflegeheim durch den Haupteingang verlässt. "Das Tabuthema Tod ist das Problem der jüngeren Generationen", hat Giesbers gelernt, "die Bewohner sprechen dagegen gerne offen darüber". Nur so lässt sich auch in Erfahrung bringen, ob der alte Mensch noch lebensverlängernde Maßnahmen wünscht, ob er lieber allein sein möchte in seinen letzten Lebensstunden oder Besuch wünscht und wie er sich seine Trauerfeier vorstellt. Die alten Menschen sind realistisch und beruhigt, wenn alles geregelt ist, erfährt Giesbers immer wieder.
Bis es soweit ist, gibt es reichlich Angebote für möglichst viel Leben in der letzten Lebensphase im St. Magnus-Haus, das zur St. Elisabeth-Stift gGmbh gehört. Neulich hat Giesbers mit den Studenten seines Seminars an der Fachhochschule Münster Grafitti angeboten. Mit Begeisterung haben 19 Bewohner vorgemalte Figuren ausgesprüht. Genauso engagiert ist sein Mitarbeiterteam dabei, wenn es darum geht, jemanden im Sterben zu begleiten. Seelsorgerisch ist Mauritzer-Franziskanerin Schwester M. Augustini erste Ansprechpartnerin, aber nicht allein zuständig für die geistlichen Angebote.
Vor zehn Jahren haben sich die Mitarbeitenden in dem Altenwohnheim mit 61 Plätzen entschieden, "weniger Wert auf vorgegebene Qualitätsrichtlinien zu legen", erklärt Markus Giesbers, der sowohl Theologie als auch Sozialarbeit studiert hat. "Die Größe der Schrift auf dem Zettel am Kühlschrank, den der Medizinische Dienst verlangt, ist uns relativ egal". Wichtiger sei, "spirituelle Elemente auf eine breitere Basis zu stellen", sagt Giesbers. Ethische Fallbesprechungen gehören dazu, wenn es beispielsweise um die Frage geht, ob jemand noch per Sonde ernährt werden soll.
Auch Jens Hinkemann, in der Hausleitung für den Bereich Pflege zuständig, ist es wichtig, dass alle Mitarbeitenden in die Sterbebegleitung einbezogen sind und die Idee des Hauses leben. Dazu müssten ihnen auch Freiräume gewährt werden. Als ganz wichtig dafür empfindet Schwester Augustini Wertschätzung und "den respektvollen Umgang mit den Mitarbeitenden".
Denn natürlich belastet der Tod von Bewohnern, die sie manchmal über Jahre gepflegt haben, die Mitarbeiter psychisch. Dazu bedeutet es mehr Aufwand, wenn die letzten Tage möglichst angenehm gestaltet werden sollen. Dann kümmern sich auch schon mal zwei Mitarbeiter um einen Bewohner, rücken das Bett von der Wand, damit auch im Liegen noch einmal der Blick in die Natur möglich ist, stellen Duftkerzen auf, weil Sterben manchmal mit unangenehmen Gerüchen verbunden ist. Jens Hinkemann ist glücklich, dass zwei Hausärzte im Ort in Palliativmedizin fortgebildet sind und rund um die Uhr bereit stehen, um Schmerzen zu lindern.
Begleitet werden auch die Angehörigen. Zeit für Gespräche, ein bequemer Stuhl im Zimmer, die Möglichkeit zu übernachten oder ein Schlüssel für die Nacht erleichtern ihnen das Abschiednehmen. Schwester Augustini betet auf Wunsch mit ihnen und stellt fest, dass fast alle Bewohner und Angehörigen froh sind über ihre spirituelle Begleitung. Die endet nicht mit dem Tod. In einer Trauerfeier wird der verstorbenen Bewohner gedacht und wenn möglich begleiten Markus Giesbers und weitere Mitarbeitende sie bei der Beerdigung auf dem Friedhof.
Dass der Tod Teil des Lebens im Altenheim ist, ergibt sich schon aus dem Einzugsalter, das im Durchschnitt bei über 85 liegt. Zudem sind gesundheitliche Einschränkungen Voraussetzung, mindestens die Pflegestufe 1 muss festgestellt sein. Ein bis zwei Bewohner versterben im St. Magnus-Haus jeden Monat im Durchschnitt. Gerade hat es eine ungewöhnliche entlastende Phase von dreieinhalb Monaten ohne einen Todesfall gegeben.
Aber es kann sich auch häufen, "das geht an die Substanz", sagt Markus Giesbers. Dann werden regelmäßige Gesprächsabende angeboten. Und in Bewerbungsgesprächen erkundet er, ob die potentiellen Mitarbeiter in der Freizeit "Ventile" haben, um diese Belastungen ausgleichen zu können. Ein Konzept, das offensichtlich funktioniert, denn "wir haben eine ganz geringe Personalfluktuation", stellt Jens Hinkemann fest.
Der Tod gehört zunehmend zum Leben im Altenheim. Inzwischen stirbt etwa jeder fünfte Mensch in Deutschland dort, ungefähr die Hälfte im Krankenhaus und nur noch ein knappes Viertel zuhause. Umso wichtiger ist es, dafür eine gute Form zu finden.
Wenn wieder jemand gegangen ist im St. Magnus-Haus, brennt eine Kerze vor seinem letzten Zuhause. Die vorbeikommenden Mitbewohner können Abschied nehmen. Zur Kultur des Hauses gehört auch, dass der Respekt über den Tod hinaus gewahrt wird: "Selbst wenn jemand verstorben ist, klopfen wir noch an, bevor wir das Zimmer betreten", sagt Markus Giesbers.
028-2016 (hgw) 10. Mai 2016