Für eine neue Leichtigkeit des Ehrenamts warb Heinz Janning zum Abschluss des Projekts "Leben in Fülle" von Diözesancaritasverband und Bischöflichem Generalvikariat in Herten. 23 Millionen Deutsche engagieren sich schon und noch einmal soviele bekunden ihr Interesse daran, sich aktiv in die Gesellschaft einzubringen. Nur eben eher nicht in den traditionellen Formen. Der langjährige Leiter der Bremer Freiwilligenagentur hält neue Wege zum Ehrenamt und neue Wege es zu gestalten für notwendig.
Dafür war Herten als richtiger Ort gewählt. Die Caritas dort traut sich was und ist selbst immer wieder überrascht über den Erfolg in ihrem Bemühen, das Leben in den Sozialräumen der Stadt gemeinsam mit den Kirchengemeinden zu gestalten. Ein Beispiel: Aus einem ursprünglich geplanten generationenübergreifenden Kulturnachmittag wurde ein dreitägiges Festival. Mittlerweile ist aus dieser Startinitiative eine Kulturstätte mit 70 einzelnen Projekten gewachsen.
Gemeinsam mit der evangelischen Kirchengemeinde werden immer neue Ideen mit engagierten Bürgern entwickelt, angepasst an die Stadtteile und ihre aktuellen Bedürfnisse. "Caritas und Kirche gehören zusammen", bekräftigte der Leiter der Seelsorgeabteilung im Bischöflichen Generalvikariat, Pater Manfred Kollig. Ganz wichtig sei dabei hinzuschauen, was gebraucht wird. Hohe Arbeitslosigkeit in der 62.000-Einwohner-Stadt am Nordrand des Ruhrgebiets, die Überalterung der Bevölkerung und die in wenigen Jahren zu erwartende Altersarmut nannte Caritas-Geschäftsführer Matthias Müller als Motivation des Verbandes zu überlegen, wie sich Caritas und Kirche künftig entwickeln sollen. Dabei stelle sich zudem die Frage, wie auch die Menschen erreicht und gewonnen werden könnten, die keinen Bezug mehr zur Kirche hätten.
Das Wissen, wie Engagement gefördert werden kann, ist nach Auffassung von Heinz Janning durchaus vorhanden: "Das ist ein Umsetzungsproblem." Das Thema Ehrenamt werde eher problemhaft gesehen unter den Aspekten Überalterung oder Mühe der Neugewinnung. "Wir müssen die Schwere des Ehrenamts brechen", forderte Janning, "und damit potentiell Interessierten die Abschreckungsphantasien nehmen". Eine Sorge sei, dass Engagement zuviel Zeit koste. Aber im Durchschnitt seien Engagierte zwei Stunden in der Woche aktiv. Begrenzte Aufgaben, die Möglichkeit eines jederzeitigen Endes und Begleitung durch Hauuptamtliche förderten dagegen das Interesse. Hinzu kommen sollten eine klare Information im Vorfeld auch über mögliche Belastungen, die Anerkennung der Kompetenz und Lob.
So wie auf den vorangegangenen Veranstaltungen im Projekt "Leben in Fülle" wurden auch in Herten gelungene Projekte ehrenamtlichen Engagements vorgestellt vom Antiquariat des Stiftes Tilbeck in Havixbeck über den Seniorentreff im Pavillon in einer ehemaligen Bankfiliale in Oldenburg bis zum selbstbestimmten Bürgertreff in Rheine. Deutlich wurde dabei, dass Ehrenamtliche heute ihre Arbeit mitgestalten wollen. Ohne Beteiligung kann auch das Scheitern drohen, wie die Hertener erfahren haben. Das erfolgreiche Demenzcafé "Lichtpunkte", in dem sich 30 Freiwillige engagieren, muss nach fünf Jahren auf neue finanzielle Füße gestellt und deshalb zur Tagespflege werden. Frühzeitig gemeinsam besprochen seien sie bereit, weiterhin bestimmte Betreuungsaufgaben zu übernehmen, so Mathhias Müller: "Nur pflegen wollen sie nicht."
Neue Wege zu gehen, könne auch Schmerzen lindern, die durch den Rückzug der Kirche entständen, zeigte der Hertener Dechant Norbert Mertens auf. In St. Barbara sei die Caritas der "Rettungsring" gewesen. Der Turm sei erhalten geblieben, die Kirche durch ein Altenheim ersetzt und die neue Kapelle werde heute ökumenisch genutzt. Caritas und Kirche gehörten eng zusammen und müssten auch im Ehrenamt als ein Ganzes gesehen werden, sagte Mertens.
Damit beschrieb er einen zentralen Aspekt des Projekts "Leben in Fülle". In mehreren Veranstaltungen verteilt über die einzelnen Regionen des Bistums ist die Frage diskutiert worden, wie Caritas und Pastoral in den neuen Strukturen nach Fusionen von Pfarrgemeinden das Leben in den Sozialräumen neu gestalten und Kirche damit vor Ort präsent bleiben kann. Dass und wie es gehen kann, zeigten dabei die vielen Beispiele aus der Praxis. Die Erkenntnis daraus: Neue Ideen können manchmal mit erstaunlich geringem Aufwand umgesetzt werden und dafür finden sich immer freiwillig Engagierte.
Weitere Informationen zum Projekt "Leben in Fülle" unter www.pastoralplan-bistum-muenster.de (Material/Prozessgestaltung/Sozialraumorientierung)
040-2015 (hgw) 23. April 2015