Wesel/Diözese
Münster (cpm).
Einen Tag in der Woche reserviert sich
Andreas Groß für die klassische Beratung in Einzelfällen. Er brauche das als
Basis seiner Arbeit, sagt er. Aber längst ist der Leiter der
Erziehungsberatungsstelle der Caritas in Wesel zum Netzwerker geworden auf der
Suche nach passenden Schlüsseln für das Leben der Familien. Das müssen immer
wieder neue sein, weil sich die Gesellschaft und in ihr Eltern und Kinder
ändern. "
Handymania
ist noch keine medizinische
Diagnose", so
Groß
, aber ein neues grassierendes
Thema in der Beratung ebenso wie die sich immer weiter verlängernde Pubertät
mancher junger Erwachsener. Für die Feier des
50jährigen
Jubiläums hat der Diplom-Psychologe in Archiven nach den Wurzeln gesucht und
vor allem eines gefunden: Beständig war vor allem der Wandel.
Die im Jahresbericht
von 1966 genannten Schwerpunkte der Arbeit passen noch gut in das Bild von
Erziehungsberatung, dass sich in unseren Köpfen nachhaltig eingeprägt hat:
Eltern kommen mit Erziehungs- und Schulproblemen in die Beratungsstelle. Es
wird psychologisch und pädagogisch nach der Ursache gesucht, um dann die Eltern
in ihren Erziehungsmethoden zu beraten oder auch Nachhilfe zu vermitteln und
bei der Lehrstellensuche behilflich zu sein. Um den ganzen niederrheinischen
Teil des Bistums Münsters kümmerten sich zwei Mitarbeiter, unterstützt von
mehreren Ehrenamtlichen. "Ohne die wäre der Aufbau gar nicht möglich gewesen",
ist Andreas Groß bei der Recherche klar geworden.
Elemente dieses
Ansatzes finden sich heute noch. Damals spielte die vorbeugende Arbeit schon
eine große Rolle. 40 Vorträge vor Eltern, Frauen- und Müttergemeinschaften
sowie Lehrern verzeichnet der Jahresbericht. Ansonsten hat sich viel verändert,
sind vor allem viele Elemente dazu gekommen. Andreas Groß hat in den
vergangenen 22 Jahren einige davon selbst initiiert: Die Nachsorgegruppen der
Mutter-Kind-Kuren, die Vater-Kind-Kuren seit 2001,
Väterarbeit
überhaupt, in jüngerer Zeit die Trauerarbeit mit Kindern und Jugendlichen und
jetzt die Frühen Hilfen vor allem für Familien mit Zwillingen und Drillingen
durch Ehrenamtliche.
Beständig ist die
Zahl der neun Mitarbeiter auf sechs Vollzeitstellen seit 30 Jahren geblieben.
Entsprechend musste sich ihr Arbeitsansatz bei all den neuen Angeboten und
stark gestiegenen Fallzahlen wandeln. Gingen früher Kinder über ein ganzes Jahr
wöchentlich in die Spieltherapie, "kommen wir heute selten über fünf
Kontakte hinaus", sagt Groß. Aber die sind intensiver und verfolgen eine
andere Strategie. Es wird nach den Stärken der Familien gesucht, sie bekommen
Hausaufgaben mit und lernen an Erfolgserlebnissen sich weiter zu entwickeln.
Sie bestimmen die einzelnen Schritte und das Tempo selbst mit. "Wir müssen
den passenden Schlüssel finden", sagt Groß.
Die
Zufriedenheitswerte, die Groß und seine beiden Beraterteams erhoben haben,
bestätigen diesen Ansatz. Allerdings hat der Erziehungsberater den Glauben
daran verloren, grundlegende Veränderungen bewirken zu können: "Wir sind
zeitweise Leitplanke für die Familie". In verschiedenen Phasen können
wieder neue Hilfen notwendig werden. In Trennungs- und Scheidungssituationen
zum Beispiel. Auch dies ist ein sich entwickelndes Thema. Beratung dazu gibt es
seit längerem, aber nach dem neuen Familienrecht können die Familiengerichte
schon in einer frühen Phase die Auflage machen, die Erziehungsberatungsstelle
aufzusuchen. Groß findet das viel befriedigender, jetzt am Anfang eingreifen zu
können, bevor sich die Fronten weiter verhärten und das Wohl der Kinder
möglicherweise weiter aus dem Blick gerät.
Da trägt dann auch
der besondere Ansatz, den sich die Erziehungsberatungsstelle in Wesel noch
leisten kann. Hier wie auch in andere Beratungen gehen zwei Mitarbeiter, bei
Trennungsfällen eine Frau und ein Mann. "Ich halte das für absolut
notwendig," sagt Groß, es verkürze auch die Beratungszeit. Er weiß aber,
dass seine Kollegen das nicht können, weil sie einzelne Fachleistungsstunden
abrechnen müssen. Einzelfallabrechnung ermögliche "wenig kreatives
Potential". Groß hält das für einen Verwaltungskropf: "Da werden nur
Papierkörbe
befüllt
."
Das Vertrauen der
Kostenträger hat er sich über Jahre erarbeitet. Ein Großteil seiner Zeit
verwendet er heute darauf, Kontakte zu knüpfen und zu pflegen.
Kooperationspartner, die im Einzelfall einbezogen werden können, gibt es
reichlich von den vielen Diensten im eigenen Caritasverband Dinslaken-Wesel bis
zu Ämtern und Schulen.
Aktuell beobachtet
Groß, dass der Anteil der aggressiven Mädchen wächst. Insgesamt ist "die
Impulskontrolle geringer geworden." Ein Problem ist das auch in Verbindung
mit der "
Handymania
". Neulich sei eine
Mutter mit blauen Flecken zu ihm gekommen, die von ihrer
13jährigen
Tochter geschlagen worden sei, weil sie ihr das Handy habe wegnehmen wollen.
Problematisch schätzt er auch ein, dass die "emotionale Begleitung der
Kinder immer weniger stattfindet zugunsten eines Freizeitprogramms". Die
Quittung gebe es in der Pubertät in Form heftigerer Konflikte. "Damit
werden wir uns intensiver beschäftigen müssen", ist Groß überzeugt. Er
plant spezielle Elternkurse zum Thema "pubertierende Familie".
079/2011
2. November 2011