Entsprechend tiefgreifender müssen aus seiner Sicht auch die Maßnahmen sein, sie zu beheben. Dafür fordert die Caritas sowohl Beratungsstellen als auch insbesondere unabhängige muttersprachliche Integrationshelfer, die uneingeschränkten Zugang zu den Wohn- und Arbeitsstätten haben.
"Wir kennen die Situation in der Heimat der osteuropäischen Arbeitsmigranten gut aus unserer langjährigen Partnerschaft mit der Diözese Iasi in Rumänien," sagt Kessmann. Die Armut zwinge die Menschen, Arbeit selbst unter eigentlich menschenunwürdigen Bedingungen anzunehmen. Die Caritas sehe hier die globale Verantwortung der Kirche darauf hinzuweisen, dass diese Not nicht ausgenutzt werden darf, um die Profite der Fleischindustrie zu steigern und es "uns zu ermöglichen, möglichst billiges Fleisch zu kaufen", so Kessmann.
Ausdrücklich begrüßt der Diözesancaritasdirektor, dass die Gewerkschaften sich ebenfalls dieses Themas annehmen. Es werde wohl nur im Bündnis gelingen können, die hartnäckigen Widerstände in Politik und Wirtschaft zu überwinden. Auch wenn Fleischarbeiter und Erntehelfer jetzt in den Fokus gerückt seien, gebe es ähnlich gelagerte Probleme in der Logistik-Branche und Pflege sowie dem Versandhandel.
Die bisherigen und auch aktuellen Bemühungen gegenzusteuern reichen nach Ansicht der Caritas nicht aus. Schon 2014 hätte die Fleischindustrie in einem Verhaltenskodex die freiwillige Einhaltung von Sozialstandards versprochen. Das habe ebenso wenig bewirkt wie die Finanzkontrolle Schwarzarbeit oder eine Erhöhung von Bußgeldern. Ebenso sei das 2017 verabschiedete Gesetz zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte in der Fleischwirtschaft wirkungslos geblieben, wie sich jetzt im erschreckenden Ergebnis gezeigt habe.
Wichtig ist, so Kessmann, nach Abflauen der Infektionen nicht wieder die guten Absichten zu vergessen. Jetzt sei es an der Zeit, die Missstände grundlegend auf mehreren Ebenen anzugehen. Notwendig sei zum Beispiel auch, dass die Erfassung der Arbeitszeiten künftig digital und nicht manipulierbar erfolge. Alle Maßnahmen müssten kontinuierlich und unangemeldet kontrolliert werden.
055-2020 (hgw) 8. Juni 2020