Aber bei Mülbrecht auch immer neues Staunen über das Ausmaß deutscher Bürokratie, obwohl er als langjähriger Leiter des Hauses der Wohnungslosenhilfe und Initiator der Europabrücke eigentlich da gestählt ist.
Zu diesem "normalen" Übermaß kommen zusätzliche Erschwernisse durch die schlechte Erreichbarkeit der Behörden in Pandemiezeiten hinzu. Was sonst mit einem persönlichen Besuch direkt geklärt werden konnte, muss jetzt digital übermittelt werden. Teilweise vergingen Wochen bis Leistungsbescheide zugestellt würden. "Immer weitere Unterlagen werden vorher angefordert", berichtet Mülbrecht.
Einerseits freut er sich zum Beispiel über die zwei Familien, für die eine Wohnung gefunden worden sei. Andererseits seien einige Pläne noch nicht umsetzbar gewesen. Eine Vermittlung der Familien in Schuldnerberatung oder der Kinder in Sportangebote erweise sich derzeit als kaum möglich. Dagegen sei eine Beratung der anfragenden Familien, in der Regel mit Migrationshintergrund, dank großzügiger Räumlichkeiten und eines Außenbereichs an der Gartenstraße fast durchgehend möglich gewesen. An das Projekt Brückenschlag können Familien durch andere Institutionen vermittelt werden, wenn sie Wohnungs- oder Schuldenprobleme haben, von Hartz IV leben oder auch gesundheitliche Hilfen benötigen, erläutert Mülbrecht. Das Modellprojekt sei nun bekannt, inzwischen gebe es eine Warteliste.
Die Kombination der Probleme ist dabei die Herausforderung. Mülbrecht erklärt das am Fall einer Familie mit drei Kindern und Migrationshintergrund: Der Antrag auf eine bestimmte Leistung kann nur online gestellt werden. Dafür ist ein Identifizierungsverfahren notwendig, das aber mit einigen Pässen nicht funktioniert. Erst nach einigem Hin und Her habe sich herausgestellt, dass es auch bei einer Bank eine Identifizierung möglich sei.
Auf solche Probleme stößt sein Team immer wieder. Dass alles digital erledigt werden müsse, stelle naturgemäß vor allem Klienten mit fehlenden Endgeräten und Sprachproblemen vor große Probleme. Mit ein paar Besonderheiten könne es notwendig werden, für einen an sich einfachen Antrag auf einen Wohnberechtigungsschein 50 bis 60 Seiten an Dokumenten einscannen zu müssen. Die Liste der beizubringenden Unterlagen für Kindergeld sei in einigen Fällen eineinhalb bis zwei DIN-A-4-Seiten lang.
Dass es großen Hilfebedarf gibt, hat sich für Mülbrecht im ersten Jahr erwiesen. Weil wegen der Pandemie manches nicht umgesetzt oder angefangen werden konnte, will die Bischof-Hermann-Stiftung jetzt eine Verlängerung der Landesförderung um ein weiteres auf drei Jahre beantragen.
034-2021 (hgw) 31. März 2021