Wenn Menschen aufgrund von Alter, Krankheit oder Behinderung ihre Angelegenheiten selbst nicht mehr ausüben können, kann das Betreuungsgericht auf Antrag einen rechtlichen Betreuer bestellen. Das kann ein hauptamtlicher Mitarbeiter sein oder wie Gerhard Bollmann ein ehrenamtlicher, der für den Betreuungsverein des Sozialdienstes katholischer Frauen Bocholt tätig ist. Seit knapp zehn Jahren unterstützt Bollmann mehrere Menschen im alltäglichen Leben da, wo es notwendig ist. Für diese Bereiche übernimmt er die rechtliche Vertretung. Er hilft zum Beispiel bei Behördengängen und Schriftwechsel, beantragt Sozialleistungen oder sucht eben ein neues Zuhause.
"Am meisten freut sich Siegfried über die erste eigene Wohnung", berichtet Bollmann, der im April die Betreuung für den 62-Jährigen mit geistiger Behinderung übernommen hat. Ihm ist wichtig, dass er Hessling keine Entscheidung abnimmt. "Siegfried ist für das Leben gut aufgestellt. Ich unterstütze ihn, wenn er Hilfe benötigt". Die Wohnung haben beide gemeinsam ausgesucht und mit Hilfe von Verwandten eingerichtet.
Fast die Hälfte der Betreuungen der Betreuungsvereine der Caritas- und der Fachverbände SkF und SKM im Bistum Münster werden von Ehrenamtlichen geführt. "Das ist eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe", weiß Sanna Zachej vom Betreuungsverein des SkF Bocholt. Daher sei es nötig, die Ehrenamtlichen gut vorzubereiten und stetig zu begleiten. Regelmäßige Fortbildungen und Erfahrungsaustausch bietet der Betreuungsverein an. Zudem berät Zachej die Ehrenamtlichen bei allen Fragen und wenn Probleme auftauchen. "Gemeinsam überlegen wir dann, wie die weiteren Schritte aussehen könnten", sagt Zachej.
Bollmann ist nur einer von 325 Ehrenamtlichen, die der Betreuungsverein für sich gewinnen konnte und trotzdem eine Seltenheit. "Die meisten ehrenamtlichen Betreuer begleiten Verwandte. Das sind oft ihre pflegebedürftigen Eltern oder schon erwachsene Kinder mit einer Behinderung" berichtet Zachej. Dass jemand wie Bollmann einen zunächst fremden Menschen betreut ist eher die Ausnahme. "Ich nehme für mich in Anspruch, dass ich die Wünsche von Menschen erkennen kann", sagt der 72-Jährige, der jahrelang bei der örtlichen Sparkasse arbeitete, bevor er im Ruhestand Betreuer wurde.
Gerhard Bollmann und Siegfried Hessling sind mittlerweile ein eingespieltes Team. Einmal wöchentlich telefonieren ist für beide Pflicht. "Wenn ich ihn brauche, dann rufe ich an", erzählt Hessling. Sein ehrenamtlicher Betreuer, der ganz in der Nähe wohnt, kommt dann mit dem Fahrrad vorbeigefahren. Über ihn hat Siegfried Hessling auch den Anschluss zu einer Gruppe des Caritasverbandes gefunden, die regelmäßig etwas gemeinsam unternimmt. "Da eröffnet sich etwas, das das Leben etwas sinnvoller macht", stellt Bollmann fest.
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25 Jahre Betreuungsrecht: Begleiten statt entmündigen
Mit der Reform des Betreuungsgesetzes wurde das bis dahin geltende Vormundschaftsrecht für Volljährige grundlegend verändert. Seit dem 1. Januar 1992 stehen die individuellen Wünsche des Betreuten im Vordergrund. "Die Entmündigung war damals der Normalfall", berichtet Ludger Schulten, Referent für Rechtliche Betreuung im Diözesancaritasverband Münster: "Es wurde über die Köpfe der Menschen hinweg entschieden." Heute gilt es, den Betreuten individuell zu unterstützen, eigene Entscheidungen zu ermöglichen und begleiten statt zu ersetzten.
Ein bestellter Betreuer vertritt seinen Betreuten in rechtlichen Angelegenheiten (zum Beispiel Vermögensfragen, Gesundheitssorge oder Vertretung gegenüber Ämtern) die er aufgrund psychischer Erkrankung, geistiger oder körperlicher Behinderung nicht ausreichend selbst besorgen kann. Der Betreuer ist dabei nicht automatisch für alle Bereiche verantwortlich. Es wird individuell geschaut, wo der Betroffe Unterstützung benötigt. Außerhalb dieses Bereichs handelt er uneingeschränkt selbstständig.
"Vor über 25 Jahren war es nicht vorgesehen, die Vormundschaft zurückzunehmen", sagt Schulten. Auch das ist heute möglich. In der Regel werden rechtliche Betreuungen befristet eingerichtet und nach einer gewissen Zeit überprüft.
Über 4037 Betreuungen werden im Bistum von 3.822 Ehrenamtlichen übernommen. Begleitet werden sie von den 19 Betreuungsvereinen der Caritas- und der Fachverbände SkF und SKM im Bistum Münster. 84 hauptberufliche Mitarbeiter führen weitere 2386 rechtliche Betreuungen.
080-2017 (lu) 25. Oktober 2017